Der letzte Befehl - Die Stille ist kein Schweigen

Buch 3

Das letzte Licht


Kapitel 248: Stimmen aus der Tiefe

Örtlichkeit: Am Rand der Erinnerungsbrüche
Leitmotiv: Zukünftige Fragmente und das unsichtbare Flüstern

Ein karger Grat zog sich durch die Landschaft wie eine offene Wunde. Schwarze Gesteinsadern durchzogen den Boden, als habe die Zeit selbst hier ihre Haut aufgerissen. Duran ging voran, gefolgt von Ashir und Kalima. Ihr Schweigen war dicht wie Nebel.

Der Wind war schwach, kaum spürbar – und doch trug er etwas mit sich. Kein Geräusch im eigentlichen Sinn, eher ein kaum vernehmbares Vibrieren, das unter die Haut drang. Hauchfeine Laute, bedeutungsschwer, als wehten Erinnerungen von morgen durch die Zeit und verhedderten sich in den Falten der Gegenwart.

Kalima hielt inne. Ihre Finger tasteten über die Oberfläche eines Steins, auf dem feine Gravuren tanzten wie gefrorene Wellen. "Sie sprechen… aber nicht zu uns allein."

Ashir spürte die Kälte an den Rändern seines Bewusstseins. Dort, wo sonst nur das Schweigen wohnte, formten sich nun Bilder – Schatten von Entscheidungen, die noch nicht getroffen waren. Ein Kind mit offenen Augen im Dunkel. Eine Tür, die nie hätte geöffnet werden dürfen.

Duran kniete nieder. Die Erde pulsierte leise unter seinen Händen. Es war kein Herzschlag – und doch lebendig. Gedanken, nicht seine eigenen, tasteten sich an ihn heran. Nicht mit Worten, sondern mit Strukturen, Bildern, Gefühlen. Sehnsucht. Schuld. Mahnung.

"Sie sind Erinnerungen, die sich selbst noch nicht kennen", murmelte er. "Teil von dem, was kommen könnte. Oder nie geschehen darf."

Kalima blickte auf. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch: "Vielleicht sind es nicht ihre Stimmen. Vielleicht sind es unsere – von einem Ort jenseits des Jetzt."

Der Himmel verdunkelte sich, nicht durch Wetter, sondern durch Bedeutung. Über ihnen spannten sich Wolken wie alte Manuskripte, unlesbar, aber voller Zeichen. Und in der Tiefe, irgendwo unter ihren Füßen, schien etwas zu lauschen.

Ein Zittern ging durch den Boden. Kein Beben, eher ein kurzes Innehalten der Welt. Die Stille war plötzlich zu laut, als hätte sie all das aufgesogen, was nie gesagt werden durfte.

Duran stand auf. Seine Augen glänzten nicht vor Tränen, sondern vor Klarheit. "Es ist Zeit, weiterzugehen. Wir tragen nun Fragmente in uns, die nie für uns bestimmt waren."

Hinter ihnen glomm der Grat wie ein verlöschendes Glutbett. Vor ihnen aber spannte sich das Land aus wie eine noch ungeschriebene Seite.

Letzter Satz:
Und unter jedem ihrer Schritte hallte etwas nach, das nicht mehr verschwieg, was es einmal war.