Der letzte Befehl - Die Stille ist kein Schweigen
Buch 3
Das letzte Licht
Kapitel 243 – Der Fluch der Spiegel
Örtlichkeit: Die stillstehende Lichtsenke
Leitmotiv: Widerhall des Selbst
Die Lichtsenke war kein Ort im herkömmlichen Sinn. Sie war eine Einbuchtung im Kontinuum, ein gefrorener Strudel aus Wahrnehmung, der sich jenseits von Richtung und Zeit aufspannte. Wer eintrat, trat nicht hinein – sondern aus sich heraus.
Kalima war die Erste, die es wagte. Ihre Schritte verursachten keine Spuren, sondern Wellen, als wäre der Boden aus Erinnerung. Sie blickte nicht nach vorne, sondern durch sich hindurch – und da war sie: eine zweite Kalima, jung, aufrecht, mit Augen, die mehr wussten, als sie selbst je zu träumen gewagt hatte.
Aber die Andere sprach nicht. Sie stand nur da, splitternd, durchscheinend, als würde jede Bewegung eine neue Zeitlinie auslösen. Als Kalima sich näherte, hörte sie ein Flüstern – keine Stimme, sondern das Nachhallen einer Entscheidung, die sie nie getroffen hatte.
Duran kam später, vorsichtiger, als wäre er schon einmal gefallen. Er sah kein Spiegelbild, sondern einen Raum voller Türen. Jede Tür war aus einem anderen Material gefertigt – Knochen, Licht, Wurzelholz, Sprache. Er wusste, er musste wählen, aber jede Wahl zerschnitt ihn weiter, als wäre seine Geschichte nicht linear, sondern kreisförmig – ein Fluch, der sich selbst wiederholte.
Ashir stand still, kaum sichtbar im Schimmer der Wand. Er war nicht hineingegangen. Doch sein Abbild war bereits da – schräg verzerrt, aus kaltem Metall und atemlosem Kalk. Er verstand nicht, wie sein Bild vorausgegangen war. Aber als er den Blick hob, erkannte er die Wahrheit: Es war nicht sein Spiegelbild. Es war der Schatten seines Vaters.
Zwischen den Figuren traten die Xhorr-Kinder auf. Nicht als Gestalten – sondern als Lichter, die zu flackern begannen. Yana war unter ihnen, ihre Stimme ein dunkler Strom: "Dies ist nicht das Jenseits. Es ist das Innere. Und was ihr hier seht, war nie verborgen. Nur vergessen."
Und in diesem Moment rief etwas von unten – ein Summen, wie das Atmen eines Raumes, der Hunger hatte. Die Lichtsenke begann zu beben. Was bis eben wie Stille gewirkt hatte, war nur der letzte Ton einer langen Kette von Entscheidungen.
Kalima griff nach der Hand ihres jüngeren Selbst. Aber ihre Finger glitten hindurch. Duran wählte eine Tür – und sie zerfiel. Ashir trat einen Schritt zurück. Doch der Schatten seines Vaters folgte ihm, flüsternd: "Du bist nicht mein Sohn. Du bist mein Echo."
Letzter Satz:
Und in der Senke, wo alle Spiegel zu zerbrechen begannen, flammte ein einziges Auge auf – und blickte zurück.