Der Ritter und die geisterhafte Jungfrau

Eine Lagerfeuererzählung, wie sie der Alte von Windeck zu erzählen pflegte
Es war einmal vor langer Zeit, als die Grenzen zwischen der Welt der Menschen und der der Geister noch hauchdünn waren.
Das Feuer knackte leise. Funken stiegen in die Nacht, und der alte Mann, dessen Gesicht vom Schein der Flammen rot und golden glühte, zog den Mantel enger um die Schultern. Er blickte in die Glut, als sähe er dort Bilder, die nur ihm vertraut waren, und begann mit rauer, beinahe feierlicher Stimme zu erzählen:
"Hoch über dem Fluss, tief im Wald, wo kaum ein Sonnenstrahl den Boden berührt, stand einst die Burg Windeck – oder das, was von ihr übrig war.
Dort lebte Ritter Sir Kuno von Hohenfels. Er war tapfer, klug – und zu neugierig für sein eigenes Glück. Kein Rätsel ließ ihn ruhen, kein Geheimnis blieb unversucht.
So kam es, dass er an einem brennend heißen Tag auf der Jagd tiefer in den Wald geriet, als je ein Mensch zuvor. Sein Knappe blieb zurück – und Kuno ritt allein.
Durst und Hitze quälten ihn, bis er an eine verfallene Mauer stieß. Zwischen den Steinen wuchs Moos, und dort, im Schatten der Ruine, stand eine Jungfrau.