Das Wunder vom Bühlerstein

Kapitel 1: Das Pechnetz
Der Felsen hatte den Ansturm überstanden; die Angst aber hing weiter in der Luft. Es war Spätherbst 1703, am Fuße des Bühlersteins.
Unten, wo die Wälder dicht wurden, lag der Hof der Agnes. Ihre Hände waren gezeichnet von der Arbeit, ihre Augen jedoch klug und wach. Sie führte den Hof allein und hatte in den letzten Wochen nachts heimlich Vorbereitungen getroffen. Der Gedanke an marodierende Soldaten quälte sie; ihr Vorrat lag im Heuboden der Scheune bereit.
An diesem trüben Nachmittag fröstelte Agnes beim Zwiebelgraben. Dann hörte sie es: das unsaubere Klirren von Eisen, das undeutliche Lallen von Männern, die nicht marschierten, sondern taumelten. Drei Schatten fielen über das Hoftor. Der Anführer, ein grobschlächtiger Mann mit Narben im Gesicht, blieb stehen und maß Agnes mit den Augen.
"Ah — fille. Brot. Wein. Gib schnell." Seine Stimme war hart, ein raues Gemisch aus Dialekt und gebrochenem Deutsch.
Agnes zwang ihre Knie, stillzuhalten. Sie presste die Zunge gegen die Zähne, um das Zittern zu beherrschen. Sie ließ den Blick kurz über ihre Hände wandern und zeigte eine leere Schüssel.
"Ich hole etwas aus der Scheune", sagte sie. "Ich habe einen Krug versteckt. Beeilt Euch." Die Franzosen nickten; einer rieb sich gierig die Lippen.
Agnes ging langsam zur Scheune. Kaum war die Tür zwischen ihnen, atmete sie scharf den Stallgeruch ein — es roch nach Pechharz und Stroh.
Sie kletterte lautlos in den Heuboden, riss das präparierte Netz heran, das sie wochenlang mit klebrigem Baumharz getränkt hatte.
Unten knurrte der Anführer: "Sie kommt nicht. Sie versteckt sich!"