Der letzte Befehl - Die Stille ist kein Schweigen
Buch 1
DIE ANKUNFT
Kapitel 4: Die Stille der Berge
Örtlichkeit: Tibetisches Hochland – chinesische Astrophysikerin in geheimer Forschungseinrichtung
Leitmotiv: Was wir messen können, ist nicht alles, was existiert.
Der Wind war alt.
Er wehte nicht einfach, er erinnerte – an das, was gewesen war, und an das, was nie hätte sein dürfen.
Im tibetischen Hochland klang er wie das Flüstern der Steine. Wie ein leiser Zweifel an allem, was der Mensch für gesichert hielt.
Dr. Lin Yuwei zog den Reißverschluss ihrer Jacke höher. Die Luft hier oben war dünn und klar – so klar, dass der Himmel fast zu grell war, zu leer. Aber genau deshalb hatte man die Sternwarte hier gebaut.
Offiziell war sie ein Wetterbeobachtungsposten. Inoffiziell: Teil eines militärischen Frühwarnsystems für nicht identifizierbare Raumobjekte.
Sie war nicht die Erste hier, aber die Erste, die sich fragte, was sie wirklich beobachtete.
Dr. Lin war 39 Jahre alt, nüchtern, brillant. Ihre Dissertation über kosmische Hintergrundstrahlung hatte ihr Zugang zum inneren Kreis der chinesischen Forschungsbehörden verschafft – und das Recht, unbequeme Fragen zu stellen.
Doch was sie heute sah, war keine Frage mehr. Es war eine Störung.
Seit genau 31 Stunden hatte das Alpha-Teleskop ein Objekt erfasst, das sich nicht bewegte – inmitten eines Gravitationsfeldes, das Bewegung erzwingen müsste. Es war nicht reflektiert, nicht leuchtend, nicht messbar – und doch: da.
Sie hatte die Daten mehrfach überprüft. Es gab kein Funkbild, kein Signal. Nur ein Schatten in einem Raum, in dem es keine Schatten geben durfte.
"Bericht an Einheit L9 vorbereitet?" fragte ein Offizier hinter ihr.
Sein Gesicht war unbewegt. Die Uniform makellos.
Lin nickte. "Ja. Ich möchte aber zusätzlich eine Reihe hochauflösender Spektralanalysen starten."
"Nur mit Genehmigung des Zentralen Kommandos."
"Wir sehen hier etwas, das sich nicht in unsere Physik einfügt."
"Dann muss sich Ihre Physik eben anpassen."
Er verließ den Raum. Die Tür schloss sich leise – aber endgültig.
In der Nacht blieb sie allein in der Kuppel. Sie saß vor den Bildschirmen, trank lauwarmen Tee und betrachtete die Daten. Alle Sensoren zeigten Normalwerte – außer dem neuen Lichtsensor, den sie selbst installiert hatte.
Er hatte eine Frequenz erfasst. Kein Ton, kein Licht – eine Information.
Zu niedrig für elektromagnetische Wellen. Zu regelmäßig für Rauschen.
Zu… beabsichtigt?
Sie speicherte die Daten heimlich auf ein separates Laufwerk. Ihre Hand zitterte leicht. Nicht aus Angst – sondern weil sie etwas fühlte, das sie nicht erklären konnte.
Dann kam die Störung.
Alle Instrumente sprangen gleichzeitig um 0,03 Prozent – als hätte jemand mit einer Hand den gesamten Raum gekippt.
Es dauerte exakt 1,7 Sekunden.
Dann war alles wieder normal.
Auf dem Bildschirm erschien für einen Sekundenbruchteil ein Symbol: ein Kreis, von Linien durchzogen – wie ein Auge. Kein Programm hatte es generiert. Kein Code konnte es zuordnen.
In der Stille der Berge saß Dr. Lin regungslos vor dem Bildschirm.
Letzter Abschnitt:
Und irgendwo – jenseits aller Instrumente, jenseits des Messbaren – glaubte sie, einen Blick gespürt zu haben.
Nicht menschlich.
Nicht feindlich.
Aber wach.