Der letzte Befehl - Die Stille ist kein Schweigen
Buch 1
DER LETZTE BEFEHL – DIE ANKUNFT
Kapitel 2: Der Rauch über den Feldern
Örtlichkeit: Amazonas – indigener Junge am Rand der Zivilisation
Leitmotiv: Wer nichts besitzt, kann alles verlieren – und alles bewahren.
Der Morgen kam mit Nebel und dem Duft von feuchter Erde. Es war der Geruch von Leben – schwer, satt, alt. Jano kroch aus seiner Hängematte, barfuß, wachsam. Sein Vater sagte immer, die Tiere seien die besseren Uhren: Wenn die Kapuziner nicht schrien, war es zu früh; wenn die Aras schon flogen, war man zu spät.
Heute war es still.
Zu still.
Der Himmel war blass. Der Regen der Nacht hatte die Hitze verschluckt, aber der Rauch war geblieben – eine graue Linie, die sich am Horizont über den Baumkronen wand. Jano wusste, was das bedeutete: Die Gringos rodeten wieder. Maschinen, Ketten, Flammen. Der Wald war in Gefahr, aber der Wald sprach nicht. Nur die Alten verstanden noch seine Zeichen.
Er nahm sein Blasrohr und ging hinaus. Am Rand des Dorfes stand sein Großvater, auf einen geschnitzten Stab gestützt, den Blick auf das, was einmal heilig war: ein Streifen Wald, in dem einst Jaguare wohnten. Heute standen dort Stäbe mit Kameras und vermessene Quadrate aus rot-weißem Plastikband.
"Sie kommen näher", sagte der Alte.
Jano nickte.
Er sagte selten viel. Worte hatten Gewicht, und in einer Welt, die sich so schnell veränderte, waren sie oft zu langsam.
Am Fluss war etwas anders.
Die Fische waren nicht geflohen, aber das Wasser vibrierte leicht – wie unter Spannung. Jano tauchte seine Hand hinein. Nichts. Und doch: Sein Körper fröstelte.
Am Himmel – dort, wo die Sonne stehen sollte – lag ein dunkler Fleck. Kein Vogel. Kein Ballon. Kein Flugzeug. Nur ein winziger Punkt, so still, dass es ihn schauderte.
"Ein Stern, der nicht blinkt", murmelte er.
Er erinnerte sich an die Geschichte, die seine Großmutter ihm einmal erzählte. Von den Lichtgeistern, die manchmal auf die Erde herabblickten. Manche sagten, es seien Ahnen. Andere: Vorboten.
Er wollte sich gerade abwenden, als es passierte.
Ein Klang.
Nicht laut. Kein Donner. Kein Ruf.
Ein leiser Impuls – wie der Nachhall eines Schlags, den niemand gehört hatte.
Der Vogel über ihm fiel aus der Luft. Tot. Einfach so.
Jano rannte.
Er rannte zurück zum Dorf, durch Farn und Matsch, über Baumwurzeln und Moos. Als er ankam, sah er die Ältesten im Kreis stehen. Schweigend.
Am Himmel: der Punkt – größer jetzt.
Unbeweglich.
Jano griff nach dem Amulett an seinem Hals. Es war nur ein Stück geschnitztes Holz, aber er hielt es fest, als könnte es ihn verankern in einer Welt, die gerade begann, sich zu lösen.
Letzter Satz:
Der Rauch am Horizont war nicht mehr das Einzige, wovor sie sich fürchten mussten.