Der letzte Befehl - Die Stille ist kein Schweigen

Buch 3

Das letzte Licht


Kapitel 265: Die ungesehenen Fäden

Örtlichkeit: Ein Gebiet, das vom Nullsektor beeinflusst wird
Leitmotiv: Die Ausbreitung der neuen Realität

Es begann im Boden.

Ein leichtes Flirren, kaum sichtbar, zog sich über die Wurzeln der Gräser. Die Erde schien zu atmen. An manchen Stellen neigte sich das Moos in die Richtung ihrer Schritte, als hätte es ein eigenes Erinnern. Der Wind, der durch das zerklüftete Tal strich, trug nicht nur Geruch, sondern Bedeutung. Und das Licht fiel in Winkeln, die nicht zur Sonne passten.

Ashir war der Erste, der es sah – nicht mit den Augen, sondern mit der Aufmerksamkeit, die jenseits der Sinne liegt. Eine Pflanze mit metallisch schimmernden Blättern wuchs dort, wo gestern nur Schotter war. Kein bekanntes Muster. Keine Zuordnung. Ein neues Vokabular des Lebendigen.

"Hier ist etwas … durchlässig geworden", sagte er leise, während er die Form der Blätter mit einer Hand umkreiste, ohne sie zu berühren. Jano stand neben ihm, das jüngste der Xhorr-Kinder in seinem Arm. Das Kind blinzelte gegen das Licht – oder gegen das, was durch das Licht trat.

Duran folgte einer Spur aus violetten Moosen, die wie ein Band den Fels hinaufwuchsen, direkt an einer Stelle, wo eine Woche zuvor noch Beton aus dem Boden ragte. "Das hier war menschliches Gebiet", murmelte er. "Jetzt ist es … durchdrungen."

Kalima sprach kaum noch. Ihre Präsenz war geworden wie das Wasser, das still unter Eis fließt: kaum sichtbar, aber unaufhaltsam. Wenn sie sich in eine Lichtung stellte, begannen die Vögel anders zu singen. Kein Zufall. Kein Irrtum.

Die Tiere schienen nicht zu fliehen. Sie kamen. Nicht aus Vertrauen, sondern aus einem anderen Grund. Ein Raubvogel setzte sich direkt auf eine Felsnase über Jano. Starrte, schwieg, flog nicht fort.

Die Welt begann, Fragen zu stellen, ohne Sprache. Und etwas in ihnen antwortete – mit Existenz.

Später, als die Nacht fiel, glommen leise Linien im Boden auf. Sie erinnerten an das alte Leuchten des Nullsektors, doch sie waren weicher, nicht fremd. Wie Erinnerungen, die in die Erde eingesickert waren. Es war, als hätte die Haut der Realität begonnen, sich zu häuten – und darunter trat eine zweite Schicht zutage. Keine Bedrohung. Keine Invasion. Nur das Echo des Wandels.

"Wir bringen es mit uns", sagte Kalima schließlich, als ob sie auf etwas geantwortet hätte, das alle gefühlt, aber keiner benannt hatte. "Nicht weil wir es wollen – sondern weil wir es geworden sind."

Und da, inmitten von Pflanzen, die es gestern nicht gab, und Schatten, die sich nicht mehr wie Schatten bewegten, wurde ihnen klar: Der Nullsektor war nicht zurückgelassen worden. Er war mit ihnen gekommen – in jedem Schritt, in jeder Geste, in jedem Atem.

Letzter Satz:
Und während die Sterne über ihnen standen wie offene Augen, wuchs unter ihren Füßen eine Zukunft, für die es noch keine Namen gab.