Der letzte Befehl - Die Stille ist kein Schweigen
Buch 3
Das letzte Licht
Kapitel 249: Die zweite Schwelle
Örtlichkeit: Am Riss im Kontinuum
Leitmotiv: Wenn Raum und Wille sich berühren
Der Pfad endete nicht – er verwarf sich.
Vor ihnen öffnete sich eine Spalte im Grund, tief und lautlos wie ein gestürzter Gedanke. Kein Licht drang aus ihr. Keine Luft entwich. Nur ein eigenartiges Flimmern lag darüber, als hätte jemand die Zeit selbst dort eingespannt, gedehnt, zerschnitten.
Die Gruppe stand still. Nicht aus Furcht. Aus Ungewissheit, ob noch etwas von ihnen übrig war, das gehen wollte. Oder konnte.
Duran trat als Erster näher. Das Gestein unter seinen Füßen fühlte sich plötzlich weich an, fast warm, wie durchtränkt von Erinnerung. Mit jedem Schritt wurde die Welt um ihn blasser, und die Linien seiner Identität begannen zu zittern.
Dann sah er ihn – einen kleinen Jungen, barfuß, mit flüchtigem Lächeln. Er stand auf der anderen Seite der Spalte und blickte ihn an, als hätte er gewartet. Das Gesicht war unbekannt und dennoch vertraut. Kein Kind, das er verloren hatte. Ein Kind, das er nie hatte. Das, was hätte sein können, wenn … wenn all das nicht gewesen wäre. Waffen. Befehle. Schuld.
Kalima hielt inne. Aus der Tiefe wehte ein Hauch, der kein Wind war, sondern Klang. Ein Lied, bruchstückhaft und aus einer Zeit, die sie aus sich gelöscht hatte. Ihre Mutter hatte es einst gesungen, bevor alles verschwand. Die Melodie kehrte zurück wie eine vergessene Farbe: still, vibrierend, fast schmerzlich schön. Und mit ihr kam das Gefühl, dass nichts jemals vergangen war – nur verborgen.
Ashir spürte keinen Klang, kein Bild. Er spürte eine Leere, einen Raum in sich, der nie gefüllt worden war. Die Frage kam lautlos: Wer warst du, bevor du Soldat wurdest?
Er antwortete nicht. Aber sein Herz zog sich zusammen, als ob darin eine Tür aufging, die immer verschlossen gewesen war. Nicht aus Angst, sondern aus Pflicht. Jetzt war da keine Pflicht mehr – nur noch er selbst. Und das reichte nicht mehr aus.
Sie standen nun am Rand der Spalte. Es war kein Abgrund, der sie aufforderte zu springen. Es war ein Spiegel, der sie aufforderte, sich selbst loszulassen.
Kalima streckte die Hand aus. Ihre Finger berührten das Flirren. Kein Schmerz. Kein Widerstand. Nur das Gefühl, in etwas Größeres zu treten, das sie bereits war – aber noch nicht geworden.
Duran folgte. Ashir zögerte. Dann ging auch er.
Keiner sprach. Worte hätten zerbrochen, was sich formte.
Und als sie die unsichtbare Schwelle überschritten, veränderten sich ihre Schatten – sie wurden dünner, durchsichtiger, und lösten sich schließlich voneinander.
Letzter Satz:
Und während ihre Schatten sich teilten, spürte jeder, was jenseits von sich selbst lag.