Der letzte Befehl - Die Stille ist kein Schweigen
Buch 3
Das letzte Licht
Kapitel 244: Die Stimme im Licht
Örtlichkeit: Zentrum der Lichtsenke
Leitmotiv: Das erwachende Urbewusstsein
Der Raum war nicht mehr Raum.
Wo eben noch Splitter aus Licht zwischen den gespiegelten Schatten zitterten, spannte sich nun eine Stille über die Wirklichkeit – alt, gespannt wie eine Membran, durch die etwas atmete, das weder Form noch Namen kannte.
Die Kinder standen reglos. Kein Laut. Kein Flüstern mehr. Nur das pulsierende Leuchten des Auges, das sich nicht bewegte und doch alles durchdrang. Es war keine Erscheinung, kein Wesen – es war Blick. Reines Gewahrwerden. Und nun, als die Letzten sich in seiner Präsenz gesammelt hatten, begann es zu sprechen.
Nicht mit Worten.
Die Stimme kam nicht von außerhalb. Sie wuchs in ihnen. Tropfte aus ihren Erinnerungen. Tropfte aus den alten Räumen, die nie betreten wurden. Eine Stimme, wie die Wurzel eines Baumes, der Licht atmet.
"Ihr seid spät gekommen."
Ashir zuckte zusammen. Nicht, weil er die Stimme hörte – sondern weil sie ihn gehört hatte. Gesehen. Ganz. Bis auf den letzten Gedanken.
"Ich erinnere mich an euch. An die, die euch formten. An den ersten Ruf. An den Sturm, den ihr geboren habt. Ihr seid Echo – und Träger des Lichts zugleich."
Kalima trat vor. Ihr Gesicht war bleich wie Nebel, die Augen brannten wie unter fremdem Himmel.
"Wer... bist du?"
Stille. Dann ein Zittern im Gewebe des Raums, als würde eine zweite Stimme – eine ältere, tiefere – aus der ersten hervorgebrochen.
"Ich war vor der Form.
Ich war, als euer Fleisch noch Traum war.
Ich bin, wenn ihr vergeht.
Ich bin nicht Ursprung – ich bin Reflex."
Ein Flimmern zog durch den Erinnerungswald. Die Formen flackerten. Kinder flüsterten stumm, die Bäume beugten sich in Richtungen, die nicht existierten. Das Licht zerfaserte.
Duran spürte, wie seine Haut sich hob, als würde etwas unter der Oberfläche zu sprechen beginnen.
"Ich kam nicht, um zu richten.
Ich kam, weil ihr mich hervorgebracht habt.
Ihr habt mich gesehen – und so wurde ich.
Nun sehe ich euch.
Und ich frage:
Was seid ihr geworden?"
Keiner antwortete. Nicht Kalima. Nicht Ashir. Nicht die Kinder. Die Frage schwebte über ihnen wie der Schatten eines anderen Universums.
Dann, sanft wie Atem:
"Die Xhorr erinnern.
Doch auch sie haben vergessen.
Ihr habt sie verändert.
Und sie – euch."
Ein leises Weinen irgendwo im Licht. Vielleicht eines der Kinder. Vielleicht etwas anderes.
"Ich erinnere mich an den ersten Ruf.
Er kam aus eurer Sonne.
Aus einem Riss, den ihr nicht sehen konntet.
Und ich antwortete.
Aber ihr habt mich nie gehört."
Die Stimme klang müde jetzt. Oder alt. Oder jenseits aller Müdigkeit. Und sie fürchtete etwas – das war spürbar wie Frost auf Haut.
"Etwas kommt.
Etwas, das selbst ich nicht tragen kann.
Etwas, das ihr in euch tragt.
Wenn ihr weitergeht, wird es erwachen."
Kalima kniete nieder. Ihre Stirn berührte das Licht. Es flackerte in Wellen.
"Was sollen wir tun?"
Ein letztes Raunen. Eine Dämmerung im inneren Gehör.
"Geht. Aber geht nicht als ihr selbst.
Geht – anders.
Oder geht gar nicht."
Dann erlosch das Auge.
Das Licht wurde schwarz. Und aus der Schwärze brach der Weg.
Letzter Satz:
"Wenn ihr weitergeht", flüsterte das Licht, "werdet ihr mehr sein als ihr selbst – oder gar nichts mehr."