Der letzte Befehl - Die Stille ist kein Schweigen
Buch 3
Das letzte Licht
Kapitel 235: Gebrochene Pfade
Örtlichkeit: Zerfallene Brücke
Leitmotiv: Trennung und Wiedervereinigung
Der Wind wehte durch die Risse der alten Brücke, als wolle er erzählen, was hier zerbrochen war, lange bevor sie kamen. Moos wuchs in den Spalten des Gesteins, uralte Pflanzen krallten sich in das mürbe Fundament, als sei das Leben nie ganz gegangen. Unter ihnen gähnte die Tiefe – keine Schlucht, sondern ein Echo aus längst vergessenen Zeiten, das mit jeder Bewegung zu sprechen schien.
Ein Schritt, zu hastig. Ein Krachen, dann Stille. Die Brücke hielt nicht.
Sie wurden auseinandergerissen – nicht weit, und doch durch eine unsichtbare Wand getrennt. Jeder landete auf einem anderen Ausläufer des Hangs, in sich gekehrte Inseln im Nebel. Stimmen hallten, zu fern, zu leise. Orientierung ging verloren, Raum und Zeit begannen sich zu lösen wie alte Träume.
Jano war allein zwischen Wurzeln, die sich wie Adern durch den Fels zogen. Er dachte an die Tage im Urwald, an seine Mutter, an das Versprechen, das er nie laut ausgesprochen hatte. Der Boden sprach mit ihm in flimmernden Bildern.
Mira saß am Wasserlauf, den Kopf gegen einen Stein gelehnt. Ihre Hände zitterten. In der Ferne glaubte sie, die Kinder der Xhorr zu hören – doch sie kamen nicht näher. Stattdessen tauchten Schatten aus der Vergangenheit auf, Gestalten, die ihr Vertrauen gefordert und verraten hatten.
Ishan stand vor einer Ruine, die sich wie ein Spiegel in den Hang schmiegte. Die Mauern flüsterten in seiner Sprache, nannten ihn beim alten Namen, den er längst vergessen wollte. Und trotzdem blieb er stehen. Lauschte.
Nur die Kinder der Xhorr schienen die Trennung vorausgeahnt zu haben. Sie bewegten sich fließend zwischen den Fragmenten der Gruppe, Licht in der Bewegung, keine Angst, nur ein stilles Wissen. Ihre Augen begegneten einander durch Nebel, ihre Stimmen verwebten sich zu einem Gewebe aus Ort, Erinnerung und Berührung.
Und dann, langsam, wie durch inneren Sog, fanden sie wieder zusammen. Ohne Eile. Ohne Plan. Aber mit Blicken, die mehr sagten als Worte. Ein Lächeln, ein stummes Nicken, ein vorsichtiges Berühren der Schultern – Zeichen, dass der Bruch nicht nur Teil des Weges war, sondern Bedingung für das Verstehen.
Sie standen inmitten der Risse, und keiner sprach von dem, was war. Doch alle wussten es.
Letzter Satz:
Sie standen auf den Trümmern des Alten – und spürten, dass aus dem Bruch ein gemeinsamer Anfang leuchten konnte.