Der letzte Befehl - Die Stille ist kein Schweigen
Buch 3
Das letzte Licht
Kapitel 221: Die Schwelle
Örtlichkeit: Tiefer Nullsektor – Innerster Übergang der Exil-Zone
Leitmotiv: Was überlebt, wenn alles vergeht?
Sie hatten keine Karte. Kein Licht, das ihnen Richtung zeigte. Nur das leise Nachhallen der Stille, das sich mit jedem Schritt veränderte, als wären ihre Körper selbst die Stimmgabeln eines Raums, der sie längst gehört hatte, bevor sie ihn betraten.
Der Boden war nicht mehr fest. Er war Erinnerung, flüssig gewordene Geschichte, die unter den Füßen vibrierte wie ein schlafendes Tier. Kalima spürte es zuerst – einen Druck in der Brust, der nicht schmerzte, sondern fragte.
Was bist du bereit zu vergessen?
Die Gruppe war still, als sie weiterging. Kein Wort hätte hier Platz gehabt. Der Nullsektor hatte sich in etwas anderes verwandelt – keine Leere mehr, sondern ein Bewusstsein, das nur zu existieren schien, wenn man nicht versuchte, es zu greifen.
Ashir blieb kurz stehen.
"Spürt ihr das?", fragte er, aber es war keine Frage. Es war ein Echo, das sich aus seinem Inneren löste – eine Welle von Bildern, flüchtig, überlagert: das Gesicht seiner Mutter, das Schreien in der Glaskuppel, Durans Stimme im Schatten, der Tod, den niemand gesehen hatte.
Der Raum antwortete nicht. Oder: Er war die Antwort.
Duran ging als Letzter. Nicht aus Vorsicht – sondern weil er nicht sicher war, ob er das Recht hatte, weiterzugehen. Und doch trugen ihn die Schritte, getragen von einem Willen, den er nicht mehr als seinen eigenen erkannte. Vielleicht war das der Preis: sich aufzugeben, um noch jemand zu sein.
Dann veränderte sich die Landschaft. Oder: Sie fiel weg. Raum, Zeit, Körper – alles löste sich auf wie ein Umhang, der zu schwer geworden war, um ihn weiterzutragen. Nur das Zentrum blieb – nicht als Ort, sondern als Gegenwart, die sich in sie hineinlegte.
Die Xhorr-Kinder standen bereits dort. Nicht als Führer. Nicht als Retter.
Als Erinnerung an etwas, das erst noch geschehen musste.
Einer von ihnen – das Licht war weich um seine Silhouette – streckte die Hand aus. Zwischen den Fingern tanzte kein Feuer, sondern eine Frage: Was seid ihr bereit zu sein, wenn nichts bleibt, was ihr kennt?
Kalima trat vor. Kein Schritt – nur ein Loslassen.
Der Raum antwortete – in Bildern, die keiner sah, aber alle fühlten: Erde ohne Besitz. Nahrung ohne Preis. Worte ohne Wunden. Gemeinschaft ohne Grenze. Licht, das nicht blendete, sondern wärmte.
Niemand sprach. Niemand weinte. Niemand floh.
Und doch veränderte sich alles in diesem Moment, der weder Zukunft noch Vergangenheit kannte.
Letzter Satz:
"Und was sich zu öffnen begann, war kein Tor – sondern ein Spiegel."