Die Sage vom Stein des Gelübdes und dem ewigen Vermächtnis

Schwarzacher Münster


Lange bevor das stattliche Schwarzacher Münster in seiner heutigen Pracht erstrahlte und die Klostermauern den Lauf der Zeit überdauerten, war das Land an der Acher, umspült vom späteren Mühlbach, noch ein wilder und unwirtlicher Ort. Hier und da zeugten nur vereinzelte Jägerpfade von menschlicher Präsenz.

Eines Herbstes, als die Nebel dicht über der Rheinebene lagen und die Tage kürzer wurden, geriet eine kleine Gruppe Benediktinermönche aus dem fernen Straßburg in große Not. Sie waren vom Bischof von Straßburg entsandt, um einen geeigneten Ort für eine neue Glaubensstätte zu finden – ein Bollwerk des Gebets, der Gelehrsamkeit und der Hilfe für die Menschen in diesen noch unerschlossenen Gebieten. Doch ein plötzlicher, unerwarteter Sturm brach über sie herein. Der Himmel verdunkelte sich, Sturmböen peitschten ihnen ins Gesicht, und sintflutartige Regenfälle verwandelten die ohnehin sumpfige Ebene in einen reißenden Strom. Ihre Kutsche blieb im Morast stecken, die Pferde scheuten, und die Mönche sahen sich einer todbringenden Flutwelle gegenüber, die von den angeschwollenen Flüssen herandrängte.

In ihrer größten Verzweiflung, als das Wasser bereits bis zu ihren Knien reichte und der Erfrierungstod drohte, kniete der Abt Theobald, ihr Anführer, nieder. Mit zitternden Händen und letzter Kraft rief er zum Himmel: "Herr, wenn Du uns aus dieser Finsternis rettest, wenn Du uns einen sicheren Ort zeigst, dann schwören wir, an dieser Stätte eine Abtei zu errichten, die Dir für alle Zeiten dienen wird!" Seine Brüder stimmten mit letztem Atem in sein Gelübde ein.

Kaum waren die Worte des Gelübdes verklungen, geschah das Wunder: Ein spaltbreiter Riss in den Wolken ließ einen einzelnen, hellen Lichtstrahl auf die nasse Erde fallen. Er traf nicht weit von ihnen entfernt einen großen, grauen Findling, der halb im Erdboden versunken lag. In diesem Moment schien der Sturm für einen Herzschlag innezuhalten, das Wasser wich zurück, und eine unheimliche Ruhe legte sich über die Landschaft.

Mit letzter Kraft schleppten sich die Mönche zu dem vom Lichtstrahl getroffenen Stein. Der Findling war grob und unscheinbar, doch als Abt Theobald seine Hand darauflegte, spürte er eine Wärme, die durch seinen Körper drang und ihm neue Hoffnung schenkte. Er sah genauer hin und entdeckte auf der rauen Oberfläche des Steins eine schwache, aber eindeutige Vertiefung – wie die Abdrücke von fünf Fingern, die in den Stein gepresst waren. Es war das unmissverständliche Zeichen! An diesem Ort, bei diesem Stein, sollten sie ihr Gelübde erfüllen.

Die folgenden Jahre waren hart. Der Bau der Abtei war ein mühsames Unterfangen in dieser unwirtlichen Gegend. Doch die Mönche vergaßen ihr Gelübde nie. Jeder Baumstamm, der gefällt, jeder Stein, der transportiert wurde, geschah im Gedenken an die Nacht des Sturms und den rettenden Findling. Man erzählte sich, dass der Acherner Mühlbach plötzlich reines Wasser für den Mörtel lieferte und dass die Steine für die Fundamente wie von Geisterhand an die richtigen Stellen rollten. Die Gemeinschaft wuchs, Gläubige strömten herbei und halfen beim Aufbau. So wurde das Fundament gelegt für die Benediktinerabtei Schwarzach, die später, schon im Jahr 826, erstmals urkundlich erwähnt wurde und zu einem bedeutenden Reichskloster mit eigenem Marktrecht aufstieg.

Aus diesem feierlichen Gelübde und der wundersamen Rettung erwuchs das imposante Schwarzacher Münster, das als ehemalige Abteikirche über die Jahrhunderte immer weiter wuchs und von seiner ursprünglichen romanischen Gestalt bis hin zu prachtvollen barocken Elementen im Inneren die Geschichte des Glaubens und der Kunst widerspiegelt. Die einzigartige Akustik des Münsters, die heute noch bei Konzerten erklingt, soll die göttliche Resonanz des Ursprungswunders in sich tragen. Und auch wenn die Abtei selbst im Jahr 1803 säkularisiert wurde, blieb ihre Bedeutung für den Ort Schwarzach und die gesamte Gemeinde Rheinmünster unerschütterlich.

Noch heute zeugen das alte Klosterareal mit seinen barocken Wirtschaftsgebäuden und dem prächtigen Klosterhoftor von der einstigen Größe. Das Klosterwappen mit Schlüssel und Schwert ist zum Gemeindesiegel von Rheinmünster geworden – ein ewiges Symbol für die tiefe Verbindung des Ortes mit seiner monastischen Vergangenheit. Das weithin sichtbare Münster, ein wahrer Kunstschatz Baden-Württembergs, ist zum Wahrzeichen der Gemeinde Rheinmünster geworden und zieht viele Besucher an, die die Geschichte und die Atmosphäre dieses besonderen Ortes erleben möchten, der aus einem göttlichen Gelübde und einem wundersamen Stein geboren wurde. Die Dauerausstellung im ehemaligen Kloster erinnert noch heute an die reiche Geschichte, die bis ins 8. Jahrhundert zurückreicht und mit jedem Stein dieses besonderen Ortes verwoben ist.

© 17.06.2025 Gerd Groß