Die drei Wünsche vom Bergele

Die Loffenauer Wächter-Legende


In Loffenau, dem gemütlichen Fachwerkdorf, das wie ein Schatz im Schwarzwald liegt, gibt es einen besonderen Ort: das Bergele. Von dort blickt man über die roten Dächer der Häuser bis hinauf zur geheimnisvollen Teufelsmühle.

Auf dem Bergele steht ein uralter Ahornbaum. Die Loffenauer sagen, dieser Baum ist der Wächter des besten Ausblicks.

Eines sonnigen Herbsttages klettern die Geschwister Lina (12) und Max (8) zum Bergele hinauf.

"Huch, schau mal, Lina!" flüstert Max. Hoch im Baum hängt ein kleines, dunkles Holzkästchen. Vorsichtig öffnet Lina es. Darin liegt ein Stück altes Papier. Sie liest:

"Wer das Bergele ehrt, dem seien drei Wünsche gegeben. Doch sei gewarnt! Wer aus Gier wünscht, dem dreht sich der Zauber um. Der Wächter des Baumes wacht!"

Die Probe des Wächters

"Drei Wünsche! Ich wünsche mir eine riesige Burg aus Gummibärchen!", ruft Max.

Kaum sagt er das, knistert die Rinde des Ahornbaumes laut und hört sich an, als würde alter Stein splittern. Ein Gesicht scheint in der Rinde aufzuleuchten. "Halt ein, Kind! Denkt zuerst ans Dorf!", knurrt es im Blätterdach.

Max fragt trotzig: "Aber wenn der Wächter so stark ist, warum hat er dann keine Nase?"

Der Baum knarzte empört und schüttelte seine Äste.

Lina wünscht sich schnell ihre rote Lieblingssocke.

BUMM!

Ein grüner, fauliger Rauch steigt aus dem Kästchen. Er riecht nach altem Moos. Als der Rauch verschwindet, liegen fünf dicke, zappelnde Regenwürmer vor ihnen.

Max springt zurück. "Iiiiih! Würmer! Die kann man nicht essen!"

Lina schiebt die Würmer ins Laub. "Das ist die Strafe für Eigennutz. Wir legen sie zurück. Die Erde braucht sie."

Die wahren Wünsche

Lina blickt über die Dächer. Nun sehen beide Geschwister mit großem Respekt auf das kleine Kästchen. "Ich wünsche mir," sagt Lina, "dass alle Menschen, die auf dem Bergele stehen und zur Teufelsmühle schauen, Zuversicht und Klarheit spüren, damit sie im Leben immer den richtigen Weg finden."

Der Ahornbaum seufzt sanft und nickt. Ein warmes, goldenes Licht legt sich wie ein Schal über die Fachwerkhäuser. Alle, die vom Bergele schauen, fühlen sich sofort mutiger und stärker.

Jetzt ist Max dran. Er denkt an die Freude.

"Ich wünsche mir," ruft Max, "dass das Lachen der Kinder von Loffenau so ansteckend ist, dass es Freude wie eine Welle durchs ganze Dorf schickt!"

Sofort stimmen alle Vögel ringsum wie in einem großen Chor in das Kinderlachen ein. Das Lachen hallt von den umliegenden Bergen zurück, und sogar die Bäche gluckern fröhlicher. Die Fachwerkhäuser strahlen heller.

Das ewige Zwinkern

Das Kästchen ist leer. Als sie sich umdrehen, knistert die Rinde des Baumes noch einmal, genau wie am Anfang. Das Gesicht des Wächters tritt hervor. Seine Augen funkeln jetzt wie Harztropfen im Sonnenlicht. Er sieht die Kinder an, und ganz langsam zwinkert er ihnen einmal zu, bevor er im Holz verschwindet.

Von diesem Tag an bewahren Lina und Max ihr Geheimnis. Aber wenn du heute auf dem Bergele stehst, lausche genau. Wenn du ein leises Knistert in der Rinde hörst und dir die Sonne im Gesicht liegt, dann weißt du: Der Wächter des Bergeles hat dich bemerkt.

© 08.10.2025 Gerd Groß


🌳 Rezension

Von Wünschen, Weisheit und dem Zwinkern der Natur – eine Schwarzwaldlegende über Maß, Demut und Lebensfreude

Mit "Die drei Wünsche vom Bergele" erweitert Gerd Groß seine Reihe der Loffenauer Märchen um ein Stück stiller Heimatmagie. Es ist eine Geschichte, die leise beginnt – zwischen Ahornblättern und Herbstlicht – und sich entfaltet zu einer Parabel über Verantwortung, Gemeinschaft und das rechte Maß im Wünschen.

Schon der erste Absatz fängt die Atmosphäre des Dorfes so zart ein, dass man den Schwarzwald beinahe riechen kann: das Moos, die klare Luft, das Rascheln der Blätter über den roten Dächern. Der Schauplatz, das Bergele, wird zur mythischen Bühne – ein Aussichtspunkt, von dem aus sich nicht nur die Landschaft, sondern auch das eigene Herz überblicken lässt.

Die Kinder Lina und Max verkörpern in aller Unschuld die beiden Kräfte, zwischen denen jedes Leben schwankt: kindliche Neugier und spontane Gier. Groß versteht es meisterlich, diese Gegensätze humorvoll, aber nie belehrend zu zeigen. Wenn Max sich eine "Burg aus Gummibärchen" wünscht und der Ahornbaum prompt zürnt, dann schwingt darin eine tiefe Einsicht mit: Die Natur lässt sich nicht kaufen, und jeder unbedachte Wunsch hat seine Antwort.

Der Wächter des Baumes ist eine eindrucksvolle Figur, halb Naturgeist, halb weise Instanz – ein Symbol für das Gewissen, das in allem Lebendigen ruht. Sein Knarzen, das "wie alter Stein splittert", wirkt archaisch, fast göttlich. Und doch hat dieser Wächter Humor: sein Zwinkern am Ende ist kein Donnerurteil, sondern ein stilles Einverständnis – das Zeichen, dass Einsicht genügt, um Frieden zu schließen.

In der zweiten Hälfte wechselt die Geschichte in einen Ton der Erleuchtung und Wärme. Linas selbstloser Wunsch – dass alle, die vom Bergele schauen, Zuversicht und Klarheit spüren mögen – verwandelt das Märchen in ein Gleichnis des Mitgefühls. Max' letzter Wunsch, das Lachen der Kinder möge sich wie eine Welle durchs Dorf verbreiten, schenkt der Erzählung Leichtigkeit und Freude. So werden beide Geschwister zu kleinen Hütern jener Tugenden, die ihr Dorf lebendig halten.

Sprachlich gelingt Groß erneut ein feines Gleichgewicht zwischen mündlicher Erzähltradition und poetischer Gegenwartssprache. Der Rhythmus ist ruhig, klar gegliedert, mit liebevoll gesetzten Wiederholungen ("Der Baum knarzte empört und schüttelte seine Äste"), die an Volksmärchen aus dem Schwarzwald erinnern. Gleichzeitig blitzt immer wieder ein moderner Humor auf, der die Figuren lebendig macht und Kinder wie Erwachsene gleichermaßen anspricht.

🍂 Fazit

"Die drei Wünsche vom Bergele" ist mehr als ein Märchen – es ist eine kleine Hymne auf das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur, auf die Kraft des Wünschens, die erst durch Besonnenheit zur Wirklichkeit wird.
Gerd Groß zeigt, dass Heimatliteratur weder altbacken noch belehrend sein muss, wenn sie Herz, Humor und eine Prise Zauber besitzt.

Bewertung: 5 von 5 Sternen
🕯️ Empfehlung: Ein märchenhafter Schatz für Familien, Schulen und alle, die glauben, dass jedes Lächeln im Wald erwidert wird – vielleicht sogar mit einem Zwinkern.

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