Der Pfarrer, der Teufel und die Kinder aus Loffenau

Ein Märchen aus Loffenau


Vorspruch
"Es war einmal vor langer Zeit, da trug sich dies zu, wie es die Alten erzählen. Und wer Ohren hat zu hören und ein Herz, das nicht nach Gold verlangt, der versteht den Sinn darin."

Es war einmal im schönen Fachwerkdorf Loffenau, hoch am Rande des Schwarzwaldes. Über dem Dorf lag der Pfarrberg, wo im sonnigen Haus der weise Pfarrer Elias wohnte. Er war ein gütiger Mann mit weißem Bart, und die Kinder Lena (8) und Kasper (6) liebten es, seinen Geschichten zu lauschen. Von ihm lernten sie: "Ehrlichkeit ist mehr wert als Gold, und Güte stärker als jede Gier."

Doch unten im Tal, bei der dunklen Teufelsmühle, hauste der Böse. Die Leute nannten ihn verschieden: Lumpig sagten die Kinder, wenn sie ihn verspotten wollten; die Alten flüsterten von Rasselbart, weil seine Stimme wie klimpernde Münzen klang; und die Furchtsamen wagten kaum, ihn beim Namen zu nennen, sondern sprachen nur vom Schwarzen von der Mühle.
Alle Namen waren wahr, denn der Teufel trug viele Gestalten.

Die goldene Versuchung

Eines warmen Nachmittags schlich er sich in den Pfarrgarten. Dort stand ein alter Apfelbaum. Der Teufel hauchte ihn an, und augenblicklich glühten die Äpfel auf. Sie verwandelten sich in glänzende Taler, rund und hell wie Sonnenräder. Im Wind klang es, als ob Goldstücke aneinander klimperten.

Lena und Kasper sahen das Glitzern. Da flüsterte eine Stimme, rasselnd wie eine Geldtruhe:
"Pflückt sie! Wer die meisten nimmt, ist der Reichste im Dorf!"

Die Kinder vergaßen die Lehren des Pfarrers. Sie stürzten zum Baum, rissen die Taler herab, stopften sie in ihre Taschen, schubsten sich, zerrten an den Ästen und schrien durcheinander.
"Ich zuerst!" – "Nein, das ist meiner!" – "Gib her!"
So heißt es ja: "Gier frisst Hirn, und wer zuviel will, hat am Ende nichts."

Bald war kein Lachen mehr zu hören, nur noch Keifen, Weinen und Streit.

Die eigene Einsicht

Pfarrer Elias trat aus dem Haus, doch er griff nicht ein. Er wartete still, wie einer, der weiß: "Von allein wird das Herz klug."

Lena hielt eine Münze in der Hand. Sie war eiskalt, und plötzlich schämte sie sich für das böse Wort, das sie Kasper zugerufen hatte. Ihr Herz wurde schwer.
"Das macht uns nicht froh," flüsterte sie. "Es macht uns nur böse."

Sie warf den ersten Taler zu Boden. Dumpf schlug er auf – und im selben Augenblick war er nur noch ein fauler, brauner Apfel.

Kasper sah es, und auch er schüttelte alle Münzen aus der Tasche. Mit lautem Prasseln fielen sie, und jeder verwandelte sich in einen matschigen Rest.

Der Wutausbruch des Teufels

Da erhob sich ein Kreischen. Lumpig – Rasselbart – der Schwarze von der Mühle – sprang aus dem Gebüsch. Seine Augen glühten wie Feuer, sein Schatten wuchs groß wie eine Rauchwolke.

"Ihr Narren!" brüllte er. "Man nennt mich Lumpig, man nennt mich Rasselbart, man nennt mich den Schwarzen – aber ich bin immer derselbe, und ich will eure Herzen!"

Doch Pfarrer Elias legte die Hand auf den Baum und sprach ruhig:
"Du hast viele Namen, doch keine Macht über die Wahrheit. Geh zurück, woher du kamst."

Ein Rumpeln erschütterte den Pfarrberg. Schwefelgeruch stieg auf. Der Teufel verzerrte sich zu einem wirbelnden Schatten, rollte den Hang hinab zur Mühle und ließ nur ein wütendes Echo zurück, das im Tal nachhallte.

Die guten Früchte

Lena und Kasper liefen nicht zum Pfarrer, sondern zum Baum. Sie pflückten die faulen Äpfel ab und vergruben sie tief in der Erde.

"Hier sollen neue Früchte wachsen," sagte Kasper, "Früchte der Güte und der Wahrheit."

Und so erzählen die Menschen von Loffenau noch heute: Der Teufel hat viele Namen – Lumpig, Rasselbart, der Schwarze von der Mühle –, doch keiner ist stärker als ein reines Herz.
Darum, sagen die Alten, wachsen um Loffenau so viele Apfelbäume. Denn "ein guter Apfel im Korb macht fröhlicher als hundert Taler im Beutel."

© Gerd Groß 05.10.2025


✝️ Rezension

Vom Goldglanz und der Wahrheit des Herzens – ein Schwarzwaldmärchen über Versuchung, Erkenntnis und Güte

Mit "Der Pfarrer, der Teufel und die Kinder aus Loffenau" knüpft Gerd Groß an die tief verwurzelte Erzähltradition des Schwarzwalds an und erschafft ein Märchen, das in seiner Schlichtheit leuchtet und in seiner moralischen Klarheit berührt. Der Autor verbindet Heimat, Volksglaube und Menschlichkeit zu einer Erzählung, die so alt wirkt wie das Dorf selbst – und doch vollkommen zeitlos ist.

Schon der Vorspruch kündigt an, was folgt: eine Geschichte, die nicht bloß unterhalten, sondern verstanden werden will. "Und wer Ohren hat zu hören und ein Herz, das nicht nach Gold verlangt, der versteht den Sinn darin." – Dieser Satz klingt wie aus einer alten Bibelübersetzung, poetisch, getragen, mit einer feinen Ahnung von Mystik.

Im Zentrum steht Pfarrer Elias, eine Figur, wie sie in alten Dorfsagen oft erscheint: weise, gütig, aber nicht allwissend. Seine Geduld – das stille Zusehen, bis "das Herz von allein klug wird" – ist vielleicht die schönste pädagogische Geste des Märchens. Die Kinder Lena und Kasper sind dagegen das menschlich-irdische Gegenstück: neugierig, fehlerhaft, lebendig. In ihnen spiegeln sich alle, die im Leben einmal dem falschen Glanz verfallen sind.

Der Teufel erscheint hier in klassischer Mehrgestaltigkeit – als Lumpig, Rasselbart, der Schwarze von der Mühle –, eine Reminiszenz an mündliche Überlieferungen, die das Böse nie eindeutig fixieren, sondern ihm wechselnde Masken verleihen. Seine Stimme "rasselnd wie eine Geldtruhe" ist eine brillante, fast lautmalerische Metapher: Der Klang des Goldes selbst wird zur Versuchung.

Mit sicherem Gespür für Rhythmus und Bildsprache entfaltet Groß eine klare, volksnahe Moral ohne moralisch zu klingen. Der Satz "Gier frisst Hirn, und wer zu viel will, hat am Ende nichts" bricht kurzzeitig die alte Sprache auf, wirkt wie ein Sprichwort, das die Brücke ins Heute schlägt. So entsteht eine harmonische Spannung zwischen traditioneller Märchenform und moderner Lesbarkeit.

Die Verwandlung der Goldtaler in faule Äpfel ist ein meisterhafter Moment: sinnlich, einfach und doch von archetypischer Kraft. Gold, das zu Erde wird – ein altes Gleichnis für Läuterung, Verzicht und Neubeginn. Dass die Kinder am Ende die faulen Früchte vergraben, ist kein symbolisches Wegwischen der Schuld, sondern tätige Umkehr. So wächst aus Reue Zukunft – oder, wie der Schluss sagt: "Ein guter Apfel im Korb macht fröhlicher als hundert Taler im Beutel."

Stilistisch bleibt der Text durchweg klar, musikalisch und bildhaft. Groß schreibt in einer Sprache, die sich leicht vorlesen lässt, aber durchdacht gebaut ist – mit Rhythmus, Wiederholungen und Motivreihen, die an Sagen aus dem Murgtal und alten Pfarrchroniken erinnern.

🍎 Fazit

"Der Pfarrer, der Teufel und die Kinder aus Loffenau" ist ein Märchen von klassischer Schönheit und moralischer Tiefe. Es erzählt von der ewigen Spannung zwischen Gier und Güte, zwischen Glanz und Wahrheit – und tut dies mit jener stillen Weisheit, die man nur in Geschichten findet, die aus einem Ort und seinem Geist geboren sind.

Bewertung: 5 von 5 Sternen
🕯️ Empfehlung: Für alle Generationen – ein Märchen, das an die Wurzeln des Menschseins erinnert und mit sanftem Licht aus der Schwarzwaldseele leuchtet.

ChatGPT