Der Junge von Nebenan
Kapitel 47: Abschied ohne Ende
Der Frühling kam früh in jenem Jahr. Kein Donner, kein Aufbruch – nur ein leises Grünen in den Ritzen der Mauern. Der Raum roch nach frischer Farbe und Mühe. In einer Ecke stand ein neuer Schrank. Daneben hing ein alter Boxhandschuh. Niemand wusste genau, wem er einmal gehört hatte – aber alle ließen ihn hängen. Als Zeichen.
Leo war leiser geworden. Nicht müde. Nur stiller. Er sprach weniger, beobachtete mehr. Oft stand er am Rand, während Ayla die Gruppe anleitete. Eren führte inzwischen eigene Aufwärmrunden. Malik erklärte den Jüngeren, wie man richtig steht – nicht nur mit den Beinen, sondern mit dem, was man fühlt.
Leo spürte: Etwas war gewachsen, das ihn nicht mehr brauchte, um zu atmen.
An einem Dienstag saßen sie nach dem Training auf dem Boden. Niemand hatte es vorgeschlagen. Sie taten es einfach. Der Boden war noch warm, die Fenster beschlagen.
"Wisst ihr", begann Leo, "ich hab das hier nie geplant. Ich wollte nur nicht mehr allein sein."
Stille. Dann sagte Malik trocken:
"Jetzt bist du's nicht mehr. Also – Ziel erreicht."
Sie lachten. Sogar Ayla. Eren warf Leo eine Wasserflasche zu, als hätte er's schon gewusst.
"Ich werd' für ein paar Wochen weg sein", sagte Leo dann. "Ein Seminar. Sportpädagogik. Vielleicht wird mehr draus. Vielleicht nicht."
"Gehst du für immer?", fragte Leila, eine der Jüngeren.
Leo schüttelte den Kopf.
"Man geht nie für immer. Wenn man was dagelassen hat."
Ayla stand auf. "Wir machen weiter. Klar?"
"Klar", sagte Leo.
Am Abend saß er allein im Raum. Noch ein letztes Mal, bevor der neue Takt begann. Die Geräusche der Straße waren fern, gedämpft durch den Frühling.
Er schlug das Notizbuch auf. Es war fast voll.
Auf der letzten Seite schrieb er:
"Du beginnst als Schatten.
Wirst Silhouette.
Dann Stimme.
Dann Schritt.
Und irgendwann:
Spur im Staub.
Platz im Kreis.
Geschichte in einem anderen.
Ich bin nicht gegangen.
Ich bin geblieben – in dem, was ihr tragt."
Er legte den Stift weg.
Zog die Tür hinter sich zu.
Und ging.
Nicht fort.
Nur weiter.