Der Junge von Nebenan

Kapitel 45: Die Prüfung von außen


Die Sonne warf langgezogene Schatten über den Schulhof, als Leo den Aushang entdeckte. Kein großer Zettel. Nur schwarz auf weiß, dicke, schwarze Buchstaben:
"Projektbesuch – Bezirksjugendamt. Donnerstag, 14:00 Uhr"
Darunter, kleiner:
Ansprechpartner: Herr Klement.

Leo riss den Zettel nicht ab. Er starrte darauf, als wäre der Raum plötzlich dunkler geworden. Nicht aus Angst – sondern aus Erinnerung.
Wie viele Male hatte ein Amt über ihn entschieden? Wie oft war sein Name in Berichten aufgetaucht – zwischen Stempeln und Schweigen?
Und jetzt … war es sein Projekt, das auf dem Prüfstand stand.

Am Abend sprach er mit David. Zwei alte Hocker, Matten, Werkzeugkisten. Ayla und Eren waren längst weg.
"Sie wollen sehen, wie wir arbeiten", sagte David ruhig. "Nicht, um dich zu prüfen. Sondern um zu prüfen, ob das hier trägt."

Leo nickte. Aber innerlich brannte es.
Was, wenn Malik wieder verschwand?
Was, wenn jemand Mist baute – ausgerechnet an diesem Tag?

Er sah sie alle vor sich:
Die schüchterne Leila mit dem Plüschanhänger.
Den stillen Kian, der mittwochs früher kam, weil es zu Hause lauter war als hier.
Und Malik – mit seinem Stolz, seinem Schweigen, seinem inneren Drahtseilakt.

Leo wusste: Das hier war mehr als ein Sportprojekt.
Es war ein Versprechen.
Und jetzt sollte jemand entscheiden, ob es "ausreichte".

Am Donnerstag war alles anders.
Die Kinder spürten die Spannung. Malik war da – sogar früh – aber still.
Ayla hatte Listen vorbereitet.
Eren wischte die Matten gründlicher als sonst.
Leo trug ein schlichtes Polo, kein Sportshirt. Er hasste es – aber er wusste, dass Bilder zählten.

Dann kam der Moment.
Zwei Männer, eine Frau. Klemmbretter. Klemmbretter bedeuteten Fragen.
Herr Klement begrüßte sie freundlich. Leo zeigte den Raum, erklärte Abläufe, redete ruhig – aber innerlich war es ein Seiltanz.

Dann kam die Frage:
"Und wie gehen Sie mit Rückfällen um?"

Leo stockte. Malik, der am Rand stand, hörte auf, den Boxsack zu betasten.
Leo antwortete langsam. Klar. Nicht als Verteidigung. Sondern als Haltung.
"Rückfälle sind keine Niederlagen.
Sie sind Teil des Weges.
Wer was anderes behauptet, war noch nie da draußen."

Stille.
Dann ein Nicken. Kein Lächeln. Kein Schulterklopfen. Aber ein Nicken.

Später, als alle gegangen waren, saßen Leo und Malik allein im Raum. Die Matten trugen noch den Tag in sich.
"Du warst mutig", sagte Malik leise.
"Ich hab nur gesagt, was ich weiß."

Malik zog die Kapuze über den Kopf.
Dann, nach einer langen Pause:
"Ich komm morgen wieder. Früh. Ich will zeigen, dass ich's ernst mein. Vielleicht beim Aufwärmen helfen. Oder irgendwas."

Leo nickte. Nicht zu viel sagen. Nicht zerreden. Nur:
"Gut."

Am Abend schrieb Leo in sein Notizbuch:
"Manche Prüfungen kommen von außen.
Aber die, die zählen, sind die,
bei denen man sich selbst standhält."