Der Junge von Nebenan
Kapitel 41: Wenn es brennt
Ein paar Tage später:
Leo kam zu spät.
Die Tür stand offen, ein beißender Geruch hing in der Luft – verbranntes Plastik, etwas scharfes, das in den Nasenflügeln schmerzte. Der Raum war nur noch ein Schatten von dem, was er gewesen war. Eine der Matten rauchte noch, der Rauch stieg wie ein letzter Widerstand gegen das, was nun nicht mehr war.
Ayla stand draußen. Ihr Gesicht war grau, ihre Hände zitterten, das Handy fest in der Hand. "Ich war nur kurz weg", flüsterte sie, als könnte sie das nicht glauben, als könnte sie den Moment nicht rückgängig machen. "Fünf Minuten."
Innen: Chaos. Umgeworfene Bänke, die wie vermisste Gliedmaßen in der Ecke lagen. Zerschnittene Poster, das Abbild von Werten und Idealen, die nun wie abgelebte Träume zerfetzt am Boden klebten. Der Rauch hing an der Decke, als wollte er das Licht der Halle in den Schatten ziehen.
Eren saß am Rand. Die Beine angezogen, stumm. Nichts mehr von der Energie, die er vorher ausgestrahlt hatte. Nur Stille.
Leo ging langsam weiter. Jeder Schritt fühlte sich wie ein weiterer Fehler an. Er rief David. Dann die Polizei. Dann die Feuerwehr – aus Prinzip. Doch in seinen Ohren dröhnte nur eine Frage, die immer lauter wurde: Wer tut sowas?
Der Tag verflog in einem Nebel aus Fragen, Schweigen und Aufräumen. Jeder versuchte, dem Chaos, das sie hinterlassen hatten, eine Form zu geben, doch es war nichts mehr zu ordnen. Es war wie ein Schlag ins Gesicht – und sie mussten es akzeptieren.
Am Abend saßen sie zusammen auf dem Boden. Die Hände um eine Tasse Tee, der Dampf schien die Gedanken der anderen zu verschleiern. David war der erste, der das Schweigen brach. "Leo… hast du eigentlich einen Verdacht, wer das gemacht haben könnte?"
Leo presste die Lippen zusammen. Er wusste, was er dachte, aber wollte er es wirklich aussprechen? "Ich… ich hab' an Chiko gedacht", sagte er leise.
David nickte. Es war nicht die Antwort, die er hören wollte. Doch er wusste es auch ohne sie. "Die Bande ist nicht begeistert von dem, was wir hier aufbauen. Das ist ihr Revier, ihre Regeln. Ein Ort, der anders ist, kann für sie eine Bedrohung sein."
Leo schluckte. Ein heißer Kloß stieg ihm in die Kehle. "Ich hab' mich gefragt, ob ich wütend sein soll. Ob ich ihnen das übelnehmen kann. Aber dann…"
Er schaute zu David, suchte in seinen Augen nach einer Richtung. Nach einer Antwort, nach etwas, das ihm half, das Chaos zu verstehen. "Was, wenn das nicht nur Ärger ist? Sondern Angst? Angst davor, dass sich was verändert."
David legte die Hand auf Leos Schulter, die beruhigend, aber auch schwer war. "Genau deshalb müssen wir klug sein. Das Hier ist mehr als ein Raum. Es ist eine Haltung. Aber wir dürfen uns nicht in Feindschaften verstricken, die wir nicht kontrollieren können."
Leo nickte langsam, doch der Kampf in ihm brodelte weiter. "Wenn wir zu schnell handeln, könnten wir die Jungs vertreiben, die wir eigentlich erreichen wollen. Aber wenn wir nichts tun…"
Er seufzte. "…dann riskieren wir, dass es kaputtgeht. Nicht nur der Raum. Sondern alles, was wir aufgebaut haben."
David sah ihn ernst an, und Leo konnte in seinen Augen das gleiche Unbehagen sehen, das in seiner Brust nagte. "Wir müssen rausfinden, was wirklich hinter dem Feuer steckt. Beweise sammeln, reden, beobachten. Und immer daran denken: Unsere Stärke liegt darin, dass wir bleiben. Auch wenn andere gehen."
Leo blickte zum Fenster, wo die letzten Rauchschwaden sich im Wind verflüchtigten. Der Schmerz in seiner Brust war nicht der Schmerz eines Brandes. Es war der Schmerz, etwas zu verlieren, das gerade erst geboren worden war.
"Dann machen wir das so", sagte er leise. "Wir lassen uns nicht einschüchtern. Aber wir kämpfen klug."
David nickte. "Genau so. Schritt für Schritt. Immer."
Und in dieser Nacht schlief Leo nicht einfach schlecht – er schlief mit einem Plan. Und dem festen Willen, dass sie diesen Ort nicht verlieren würden. Nicht jetzt. Nicht so. Nicht ohne diesen Kampf zu führen.
© 14.07.2025 Gerd Groß