Der letzte Befehl - Die Stille ist kein Schweigen

Buch 1

DIE ANKUNFT


Kapitel 60: Jenseits des Verstehens

Örtlichkeit: Mecklenburgische Seenplatte, ehemalige Beobachtungsstation
Leitmotiv: Nicht alles, was nicht für dich ist, ist gegen dich.

Der Morgen war still.
Kein Funkverkehr.
Kein Motorlärm.
Nur das Knacken gefrorener Erde unter Leons Stiefeln.

Er hatte die Station wieder bezogen – halb verlassen, halb notdürftig reaktiviert. Die letzten Anordnungen aus Berlin waren kryptisch gewesen. Seit dem Vorfall in Genf herrschte Funkstille zwischen den Netzwerken.

Leon war allein.
Nicht zum ersten Mal.
Aber zum ersten Mal ohne Auftrag.

Er saß auf der Plattform über dem See.
Dort, wo früher Sensoren das elektromagnetische Spektrum vermessen hatten, saß jetzt nur noch ein Mann, der auf das Wasser blickte.

Es war nicht ruhig.
Es war geordnet.
Eine andere Ordnung – nicht linear, nicht kausal.
Aber sie war da.

Früher hätte er gesagt: "Es funktioniert nicht."
Jetzt dachte er: "Es funktioniert – nur nicht für mich."

Er griff nach seinem Notizbuch.
Nicht, um zu dokumentieren.
Sondern, um zu fragen.

Er schrieb:

  • Warum schweigen sie?

  • Warum fliehen die Tiere nicht?

  • Warum reagieren die Systeme selektiv?

Dann strich er alles durch.

Er schrieb neu:

"Was in mir weigert sich, einfach da zu sein?"

Eine Libelle setzte sich auf sein Knie.
Im November.
Nicht zufällig – aber ohne Absicht.
Ein Gleichgewichtsmoment.

"Wir dachten, wir seien das Zentrum", murmelte er.
"Vielleicht waren wir nur… ein Punkt. Einer von vielen."

Er hob den Blick.
Am Horizont, über dem Wald, schwebte ein Objekt.
Schwerelos.
Reglos.
Nicht bedrohlich.
Nicht einladend.

Nur da.

Und in diesem Moment spürte Leon:
Es beobachtet nicht ihn.
Es wartet auch nicht.
Es ist einfach.

Und vielleicht – nur vielleicht – lag darin die Einladung.

Nicht zur Antwort.
Sondern zur Teilnahme.

Letzter Satz:
Leon schloss die Augen, atmete ein – und zum ersten Mal seit Wochen hatte er das Gefühl, dass seine Fragen nicht mehr stören mussten, um dazuzugehören.