Der letzte Befehl - Die Stille ist kein Schweigen

Buch 1

DIE ANKUNFT


Kapitel 36: Das Atmen der Bäume

Örtlichkeit: Tiefer Amazonas, südlich des Río Purus
Leitmotiv: Nicht alles Sichtbare kann man begreifen – und nicht alles Verborgene bleibt stumm.

Die Tiere waren gegangen.

Nicht schlagartig, nicht panisch – sondern in einer leisen, geordneten Bewegung, die alle Menschen im Dorf spürten. Die Vögel hatten zuerst aufgehört zu singen. Dann zogen sich die Brüllaffen zurück, und selbst die Insekten surrten nun anders.

Jano saß am Rand des Flusses, sein Blasrohr neben sich im Moos.
Er sprach nicht. Er hörte.

Die Luft war schwer geworden. Nicht heißer – tiefer.
So als würde der Dschungel selbst einatmen, vorsichtig, erwartungsvoll.

Der Himmel war nicht leer.
Zwischen den Kronen erkannte Jano eine neue Veränderung: ein leichtes Flimmern, kaum sichtbar, als ob das Licht sich selbst widersprach.

Die Alten im Dorf hatten begonnen zu beten, nicht aus Angst, sondern aus Gewohnheit. Die Muster der Welt waren aus dem Gleichgewicht geraten.

In der vergangenen Nacht hatte Jano wieder davon geträumt.
Vom Wasser, das in die Luft stieg.
Von Bäumen, die sich wie Menschen bewegten.
Und von einem Wesen, das auf ihn blickte, ohne Augen – aus reiner Gegenwart.

Jetzt spürte er es wieder.
Kein Geräusch. Keine Schritte.
Aber eine Nähe, wie ein Echo im eigenen Blut.

Er hob sein Blasrohr langsam an – nicht zum Angriff. Nur, um sich selbst zu beruhigen.
Sein Blick streifte das Flimmern.
Und dann sah er es.

Nur für einen Moment.
Eine Gestalt – zu groß für einen Menschen, zu schmal für ein Tier, zu leise für etwas, das atmete.
Sie stand zwischen den Bäumen. Beobachtete ihn.

Dann: Nichts.

Jano senkte das Rohr.
Er wusste nicht, was das war.
Aber er wusste, dass es nicht zum ersten Mal hier war.

Letzter Satz:
Und er fragte sich, ob nicht die Tiere die klügeren Wesen waren – weil sie längst verstanden hatten, dass etwas auf dem Weg war, das nicht sprach, aber zählte.