Mehr als Gold - Die Reise zu inneren Wahrheit

Kapitel 14


Die Ankunft – Heimkehr und Neuanfang

Die letzten Schritte des Heimwegs waren die schwersten, aber auch die bedeutungsvollsten. Mit jedem Schritt, der Hans den heimatlichen Lichtern näherbrachte, wuchs in ihm eine Mischung aus bangen Zweifeln und einer stillen, unerschütterlichen Entschlossenheit. Die Kühle der Nacht umhüllte ihn, doch er spürte keine Kälte mehr, nur die Klarheit seines Geistes und die Hoffnung, die der winzige Samen in seiner Tasche symbolisierte. Er hatte nichts Materielles zu bieten, keine Goldbarren, keine schimmernden Edelsteine, keine kostbaren Stoffe. Sein Reichtum war nun ein unsichtbarer: die Erkenntnis, die er in den Tiefen des Waldes gefunden hatte, und das Versprechen, ein anderer Mann zu sein.

Als die vertrauten Umrisse seines Hauses am Rande des Waldes sichtbar wurden, blieb Hans stehen. Ein Licht brannte am Fenster, ein warmes, einladendes Leuchten, das wie ein Anker in der Dunkelheit lag. Würde Grete ihn verstoßen? Würde sie ihn verstehen? Er hatte nichts Materielles mitgebracht, keine Reichtümer, keine Geschenke. Nur eine leere Seele, die nun von einer neuen Art von Reichtum erfüllt war – der Erkenntnis des Wahren. Der Gedanke an Willis treue Augen, das Gefühl der Reue, das ihn immer noch begleitete, verlieh ihm die letzte Kraft, den Schritt zu wagen. Er atmete tief ein, spürte die frische Waldluft in seinen Lungen, und setzte seinen Weg fort.

Er klopfte zögernd an die Tür. Das Geräusch hallte lauter, als er erwartet hatte, in der Stille der Nacht. Nach einem Moment der quälenden Stille öffnete sich die Tür. Grete stand dort, ihr Gesicht war blass und von Sorge gezeichnet, ihre Augen weit vor Schreck, als sie Hans erkannte. Sie starrte ihn an, zuerst mit Unglauben, dann mit einer Mischung aus Erleichterung und Wut.

"Hans?", flüsterte sie, ihre Stimme belegt. "Wo... wo warst du? Wir haben dich für tot gehalten! Und Willi...?"

Hans sah in ihre Augen, sah die Sorge, die Angst und die Liebe, die er so leichtfertig geopfert hatte. Er konnte nichts sagen, nichts beschönigen. Er kniete vor ihr nieder, dort, auf der Schwelle seines eigenen Zuhauses, und zog den kleinen, dunklen Samen aus seiner Tasche. Er legte ihn vorsichtig in Gretes offene Hand.

"Ich habe alles verloren, Grete", sagte er, seine Stimme rau vor Emotion. "Das Gold, die Steine, die Stoffe – alles ist zu Staub zerfallen. Ich war blind, getrieben von Gier. Aber ich habe etwas gelernt, das mehr wert ist als aller Reichtum der Welt." Er blickte sie mit Tränen in den Augen an. "Dieser Samen... er ist der Ursprung des Übels, der Gier, die mich fast zerstört hätte. Aber ich habe ihn nicht genutzt. Ich habe verstanden, dass die wahre Formel nicht darin liegt, zu nehmen, sondern zu bewahren. Das Herz der Natur ist das Leben selbst, und unser Reichtum seid ihr, meine Familie."

Grete sah den unscheinbaren Samen in ihrer Hand, dann Hans' von Reue und neuer Entschlossenheit erfülltes Gesicht. Sie verstand vielleicht nicht alles sofort, aber sie sah die Veränderung in seinen Augen, die Ehrlichkeit in seinen Worten. Die Gier war fort, ersetzt durch eine Demut, die sie bei ihm noch nie zuvor gesehen hatte.

Langsam legte sie ihre Hand auf seinen Kopf. "Steh auf, Hans", sagte sie leise. "Komm herein."

Die Kinder, angelockt vom Geräusch, lugten aus dem Haus. Sie erkannten ihren Vater, und mit einem Freudenschrei stürmten sie auf ihn zu, klammerten sich an ihn. Hans schloss sie fest in die Arme, spürte ihre kleinen Körper, ihre bedingungslose Liebe. Das war sein Reichtum. Das war die Wahrheit.

In den Tagen und Wochen, die folgten, erzählte Hans Grete von seiner unglaublichen Reise, von den Hexen, der Fee, den Toren und der großen Prüfung. Er sprach von Willis Opfern und seiner eigenen Blindheit. Grete hörte zu, mit Tränen in den Augen, aber auch mit einem wachsenden Verständnis. Den Samen bewahrten sie auf, nicht als Bedrohung, sondern als Mahnmal und Symbol ihrer gemeinsamen Entscheidung, ein Leben im Einklang mit der Natur zu führen. Hans und Grete planten, den Samen an einem Ort zu pflanzen, der symbolisch für Neuanfang und Heilung steht, vielleicht an Willis Grab, um sein Opfer zu ehren und die Gier endgültig zu begraben.

Hans begann, sich um den Wald zu kümmern, nicht um ihn auszubeuten, sondern um ihn zu hegen und zu pflegen. Er lehrte seine Kinder, die Stimmen der Natur zu hören, die kleinen Wunder am Wegesrand zu sehen, die wahre Schönheit des Lebens zu schätzen. Sie lebten bescheiden, aber reicher an Liebe, Respekt und Verbundenheit als je zuvor. Die Murg floss ruhig, der Wald blühte, und in Hans' Herz keimte eine neue, wahre Hoffnung.

Manchmal, wenn die Sonne tief stand und lange Schatten warf, wanderte Hans zum Rande des Waldes, wo die gewaltigen Felsformationen des Eulensteins sich aus dem Boden erhoben. Er sah, wie Moose und Flechten über ihre rauen Oberflächen krochen, und wusste, dass diese steinernen Wächter nicht länger Bedrohung, sondern stille Zeugen einer ewigen Ordnung waren. Ihre massigen Formen, einst Ausdruck puren Zorns der Steinhäute, schienen nun im Einklang mit dem Fluss der Zeit zu stehen, und ihr Schweigen war ein tiefes, altes Versprechen von Beständigkeit und Frieden.


© 26.05.2025 Gerd Groß


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