Mehr als Gold - Die Reise zu inneren Wahrheit

Kapitel 12


Der Heimweg – Die Last der Erinnerung und das neue Sehen

Hans stand da, allein vor dem nun wieder unscheinbaren Höhleneingang. Der Schock über das zerfallene Gold und das sich schließende Tor saß ihm noch in den Knochen, doch die Panik wich einer tiefen, ungewohnten Ruhe. Seine Taschen, eben noch prall gefüllt mit vermeintlichem Reichtum, waren leer. Die Gier, die ihn getrieben hatte, war verschwunden, zurückgelassen wie der Staub des trügerischen Goldes. An ihrer Stelle breitete sich eine klare, wenn auch schmerzhafte Erkenntnis in ihm aus.

Die Worte der Fee hallten in seinem Geist nach: "Die 'wahre Formel' ist nicht die Gier, sondern die Achtung vor dem, was die Natur dir gibt. Die 'Lösung, die im Herzen der Natur verborgen liegt', ist das Leben selbst, die Verbundenheit mit dem Wald, dem Wasser, den Kreaturen." Er blickte auf seine leeren Hände. Er hatte alles verloren, was er zu suchen vorgegeben hatte, und doch fühlte er sich leichter als je zuvor.

Er drehte sich vom Höhleneingang weg und sah den Gertelbach Wasserfall und das Tal. Wo er zuvor nur Hindernisse oder Kulissen für seine Schatzsuche gesehen hatte, erkannte er nun eine unermessliche Schönheit. Das Rauschen des Wassers war nicht länger ein Grollen, sondern ein beruhigendes Lied. Die sattgrünen Moose und Farne, die sich an die Felsen klammerten, zeugten von einer unerschütterlichen Lebenskraft. Die alten, knorrigen Bäume schienen ihm zuzunicken, als würden sie seine Erkenntnis teilen. Die Natur war nicht nur da, um von ihr zu nehmen; sie war ein Geben und Nehmen, ein lebendiges System, dessen Teil er war. Und er hatte versucht, es auszubeuten. Selbst das uralte Gestein, das die Talflanken bildete, schien nun mit ihm zu atmen, seine raue Oberfläche ein Zeichen der unerschütterlichen Geduld der Erde.

Der Gedanke an Willi schmerzte noch immer, aber es war ein reiner Schmerz, nicht mehr vermischt mit Schuld und der Frage nach dem Wert seines Lebens. Willi war nicht nur ein Lasttier gewesen, sondern ein treuer Begleiter, ein Lebewesen, das er für seine eigene Gier geopfert hatte. Hans' Augen füllten sich mit Tränen, als er sich an Willis warmes Fell erinnerte, an die treue Art, wie der Esel ihm immer gefolgt war. Der Anblick des stürzenden Karrens und Willis' letzter Schrei brannten sich erneut in sein Gedächtnis, diesmal aber als eine bittere Wahrheit, die seine Seele reinigte. Er kniete am Ufer des Baches, ließ das kalte Wasser über seine Hände fließen und murmelte Willis Namen. "Es tut mir leid, mein treuer Freund", flüsterte er, seine Stimme von Trauer belegt. Eine tiefe Reue und ein Gefühl des unermesslichen Verlustes erfüllten ihn. Er spürte, dass er Willis nicht nur betrauern, sondern auch ehren musste, indem er von nun an anders lebte. Er würde sein Opfer niemals vergessen.

Er stand auf und blickte auf das Wasser, das unaufhörlich seinen Weg fand. Es war wie sein eigener Weg – voller Hindernisse, aber auch voller Leben und unermüdlicher Bewegung. Er fühlte sich nicht mehr allein, die Präsenz des Waldes war ein tröstlicher Begleiter. Und Grete und die Kinder... Ihre Gesichter, die er in der Höhle beinahe vergessen hatte, traten nun klar vor sein inneres Auge. Ihre Liebe, ihre Wärme – das war der wahre unvergängliche Schatz, den er all die Zeit besessen hatte, ohne ihn zu schätzen.

Hans begann den Rückweg, nicht mehr getrieben von Hast und Gier, sondern Schritt für Schritt, achtsam und bewusst. Er nahm jeden Stein des Pfades wahr, jeden Vogelruf, das leise Rascheln des Windes in den Blättern. Die Dämmerung senkte sich langsam über den Wald, doch er empfand keine Angst. Die Dunkelheit barg keine Monster mehr, sondern die Geheimnisse des Waldes, die nun nicht mehr bedrohlich wirkten, sondern einladend. Der Schmerz über Willis' Tod und die Erkenntnis seiner eigenen Fehler waren wie scharfe Kanten, die ihn formten, ihn aber nicht mehr brachen.

Er wusste nicht, was ihn zu Hause erwartete. Würde Grete ihn verstoßen? Würde sie ihn verstehen? Er hatte nichts Materielles mitgebracht, keine Reichtümer, keine Geschenke. Nur eine leere Seele, die nun von einer neuen Art von Reichtum erfüllt war – der Erkenntnis des Wahren. Der Weg war lang, aber er war bereit, ihn zu gehen. Jeder Schritt war eine Buße und ein Versprechen zugleich. Ein Versprechen, dass er von nun an anders leben würde, im Einklang mit der Natur und im Herzen seiner Familie.

© 26.05.2025 Gerd Groß 

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