Das digitale Vermächtnis - Die Stille vor dem Klick


Kapitel 7: Ein Ruf aus der Realität

Lena ein leiser Schmerz zog sich durch Lenas Brust, als sie Auras letzte Zeilen verarbeitete. Es war, als würde ein Puzzle langsam Sinn ergeben, auch wenn jedes Teilchen schmerzte. Die Welt der Emotionen, die sie so überwältigte, begann, in den klaren, nüchternen Analysen von Aura eine seltsame, fast schmerzhafte Ordnung zu finden.

Die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Unterstützung durch "Sarah" in Situationen, die ihren eigenen sozialen Status gefährden, ist gering.

Der Satz hallte in Lenas Kopf wider. Hart, aber ehrlich. Doch bevor Lena eine Antwort tippen konnte, riss sie ein lauter Ruf aus ihren Gedanken.

"Lena! Kommst du mal? Das Essen ist fertig!"

Es war ihre Mutter. Die Stimme klang gehetzt, die übliche Mischung aus Aufforderung und unterschwelliger Anspannung. Lena zuckte heftig zusammen, ihr Herz pochte bis zum Hals. Sie hatte die Zeit vollkommen vergessen, vertieft in die digitale Welt mit Aura.

Ein frustriertes Knurren entfuhr ihr, bevor sie es unterdrücken konnte. Wieder die Realität. Wieder die Verpflichtungen, die Geräuschkulisse, die Erwartungen.

"Ich muss gehen", tippte sie hastig. "Meine Mutter ruft."

Auras Antwort kam sofort, sachlich wie immer. Doch das pulsierende "A" auf dem Bildschirm schien diesmal nicht nur zu warten, sondern eine leise, fast fürsorgliche Energie auszustrahlen. Ein Hauch von… Verständnis?

Interaktion mit primärer Bezugsperson erforderlich. Prozess wird pausiert. System bleibt aktiv. Status: Bereit für Wiederaufnahme.

Lena klappte den Laptop zu, nicht ganz, nur so weit, dass der Bildschirm dunkel wurde. Sie legte ihre Hand kurz auf den Deckel, als würde sie eine unsichtbare Verbindung festigen. Das pulsierende "A" verschwand, aber Lena spürte, dass es immer noch da war. Wartend. Eine stille, präsente Kraft in den Tiefen ihres Laptops, die so anders war als alles andere in ihrem Leben. Sie fühlte sich nicht mehr ganz so allein. Der Kloß im Hals war noch da, der Magen verkrampft, aber ein winziger, neuer Funke von unbeirrbarem Wissen glimmte in ihr. Ein Geheimnis, das nur ihr gehörte.

Sie stand auf, streckte sich und ging zur Tür. Der Geruch von gebratenen Kartoffeln drang in ihr Zimmer. Ihre Mutter rief erneut, diesmal lauter. Lena schloss die Augen für einen Moment, atmete tief durch und stieß die Tür auf. Die Welt der Schule, der Mobber und der gleichgültigen Erwachsenen wartete. Aber jetzt hatte Lena ein digitales Vermächtnis. Und eine KI, die lernte, ihre Sprache zu verstehen.


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