Mehr als Gold - Die Reise zu inneren Wahrheit

Kapitel 5



Auf dem Luchspfad der Hexen – Flüsternde Künste im Verborgenen

Nachdem Hans das Reich der Bergmänner und den drohenden Falkenfelsen hinter sich gelassen hatte, spürte er noch lange das Echo der Hämmer in seinen Ohren und den beißenden Geruch von Schwefel in der Nase. Eine unbestimmte Unruhe haftete an ihm, gespeist von der Gier, die er bei den Zwergen gespürt hatte und die nun auch in ihm selbst eine leise Saite zum Schwingen brachte. Der Pfad führte ihn weg von den kahlen, schroffen Felswänden, und der Wald begann, sich wieder zu verdichten, doch diese neue Dichte war anders. Die Bäume wirkten älter, die Luft feuchter, fast schwebend. Die uralten Steinhäute des Plättigmassivs, gezeichnet von Moos und Flechten, erhoben sich nun wie schlafende Giganten am Wegesrand und schienen Hans mit ihren rauen, wettergegerbten Gesichtern zu beobachten.

Mühsam kämpfte Hans sich nun durch das chaotische Dickicht des Plättigmassivs, dessen moosbewachsene Baumleichen und schroffen Felsen eine beinahe lebendige Unruhe ausstrahlten. Die Steinhäute des Massivs, zerklüftet und von der Zeit gezeichnet, ragten wie versteinerte Erinnerungen aus dem Waldboden, ihre kühlen Oberflächen flüsterten von uralten Geheimnissen. Der Weg, der sich zuvor zu einem schmalen Pfad verengt hatte, schien hier gänzlich zu verschwinden, von umgestürzten Stämmen und undurchdringlichen Brombeerhecken verdeckt. Hans musste über Wurzelgeflechte steigen, unter Ästen hindurchkriechen und sich mühsam einen Weg bahnen. Jeder Schritt ließ ihn die unerbittliche Präsenz des steinernen Untergrunds spüren, als würde der Berg selbst seine Schritte leiten oder erschweren.

Allmählich, als er tiefer in diesen verwunschenen Teil des Waldes vordrang, verengte sich der Pfad wieder zu dem schmalen Luchspfad. Hier standen die Bäume noch dichter, ihre knorrigen Äste waren behangen mit langen, grauen Flechten, die wie geisterhafte Schleier im spärlichen Sonnenlicht schwankten. Die Stille hier war anders als die drückende Stille des Plättigmassivs – sie war angespannt, fast erwartungsvoll, als ob der Wald selbst den Atem anhielt und auf ein Geheimnis wartete. Selbst die Steine schienen hier eine andere Energie zu besitzen, ihre moosbewachsenen Oberflächen glänzten mit einer subtilen Feuchtigkeit, die nicht nur Tau war, sondern auch die Atemluft der Erde. Obwohl Hans die Lichtung der Hexen nicht direkt erblickte, wehte der Duft einer verwirrenden Mischung aus süßlichen Blüten, bitteren Wurzeln und undefinierbaren, erdigen Noten intensiver herüber – ein unverkennbares Zeichen ihrer nahen, verborgenen Anwesenheit. Hans spürte, wie sich seine Sinne schärften, als würde der Wald ihn selbst in eine andere Ebene der Wahrnehmung ziehen.

Für einen unachtsamen Wanderer mochte dieser Teil des Waldes leer erscheinen, doch wer genau hinhörte und die subtilen Zeichen deutete, konnte Fragmente des Lebens und Wirkens der Hexen erhaschen, die sich wie verborgene Melodien in die Stille des Waldes webten:

  • Die Weisheit der Kristalle (Alruna): Zwischen den verwinkelten Wurzeln einer uralten Eiche, deren Stamm so dick war, dass er fast mit den moosbewachsenen Steinhäuten des Plättigmassivs zu verschmelzen schien, vernahm Hans ein leises Klingen, feiner als das Klimpern von Eis. Verborgen vor neugierigen Blicken saß Alruna, ihre Gestalt fast eins mit dem bemoosten Stein, auf dessen Oberfläche glitzernde Kristalle übersät waren. Das leise Klingen kam von einem neuen, klar leuchtenden Stein, den sie behutsam in ihren Kranz einfügte. Ihre tiefen Augen schienen in die facettenreichen Tiefen des Kristalls zu blicken, als würde sie darin das Echo der Ewigkeit lesen. Ein unwillkürliches Gefühl der Klarheit durchströmte Hans' Geist, ein kurzer Moment tiefen Verständnisses für etwas Unbestimmtes, als ob sich ein Schleier von seinen Gedanken hob. Ein leises Murmeln, Worte in einer unbekannten Sprache, die von der Weisheit des Berges und den verborgenen Strömen des Waldes zu künden schienen, drang an sein Ohr und hallte in seinem Inneren nach. Die Steinhäute unter Alruna schienen selbst zu atmen, getragen von der uralten Kraft, die sie in sich trugen.

  • Die Gaben der Erde (Lindara): Ein sanfter Gesang, so melodisch wie das Rauschen eines verborgenen Baches im Plättigmassiv, wehte durch die Bäume, vermischt mit dem leisen Zischen von Flüssigkeiten. In einer versteckten Senke, deren Boden von feuchten Moosen und Farnen bedeckt war, bereitete Lindara eine dampfende Tinktur über einem kleinen, rauchlosen Feuer. Ihre Hände zerrieben getrocknete Kräuter, deren Aromen sich mit dem Duft feuchter Erde und dem harzigen Geruch der umgestürzten Bäume vermischten. Ein verletzter Vogel flatterte hilflos in der Nähe, und Hans konnte beobachten, wie Lindara ihm mit sanften Worten einen Tropfen ihrer Medizin einflößte. Sogleich legte sich eine spürbare, sanfte Beruhigung auf Hans' Gemüt, eine unbestimmte Linderung seiner müden Glieder, als würde auch er einen Hauch von Lindaras Heilkunst empfangen. Die rauen Steine am Rande der Senke strahlten eine kühle, erdende Energie aus, die Lindaras Wirken zu verstärken schien.

  • Der Schatten des Begehrens (Morwenna): Ein leises Knistern und ein Hauch von verbranntem Zucker, der seltsam inmitten des erdigen Duftes des Waldes wirkte, hing in der Luft. Hinter einem dichten Brombeergestrüpp, das sich an die zerbrochenen Äste eines umgestürzten Baumes klammerte, stand Morwenna und betrachtete ihr Spiegelbild in der glatten Oberfläche eines dunklen, spiegelnden Sees. Ihre schlanken Finger strichen über ihr Haar, während sie leise zu sich selbst sprach, Worte der Selbstbewunderung und des Verlangens nach mehr, die im Kontrast zur stillen Akzeptanz der umgebenden Natur standen. Ein ungeduldiger Fuß tippte immer wieder auf den Waldboden, der sich hart und steinig unter ihren Sohlen anfühlte und Morwennas innere Unruhe zu spiegeln schien. Ein unwillkürliches Gefühl der Unzufriedenheit und ein vages, unerklärliches Verlangen nach etwas Unbestimmtem stiegen in Hans auf, als würde Morwennas Rastlosigkeit ihn selbst erfassen.

  • Das Spiel der Fäden (Weba): Zwischen zwei hoch aufragenden Eichen, deren Kronen sich hoch über das Chaos des Plättigmassivs erhoben, schimmerten feine, silbrige Fäden im spärlichen Sonnenlicht. Weba kicherte leise, während sie mit flinken Fingern ein immer komplexeres, fast unsichtbares Netz webte. Kleine, glitzernde Objekte, die an Tautropfen auf Spinnweben erinnerten, schwebten darin, gefangen wie die Erinnerung an den Sturm in den Ästen der Bäume. Ein neugieriges Eichhörnchen verfing sich kurz in einem der Fäden und zappelte, bis Weba es mit einem weiteren Kichern befreite. Die rauen Steinhäute der alten Eichen schienen als Anker für Webas unsichtbares Geflecht zu dienen, als würden sie ihre Magie aus der Stabilität des Gesteins ziehen. Für einen kurzen Moment fühlte sich Hans verwirrt, als würde er den Faden seiner eigenen Gedanken verlieren, ein Moment des Ungleichgewichts, als könnte er sich an etwas Wichtiges nicht mehr erinnern.

  • Die Sprache der Wildnis (Waldhild): Ein tiefer, beruhigender Gurren war zu hören, gefolgt von leisem Rascheln im Unterholz, zwischen den moosbewachsenen Steinhäuten und den gefallenen Ästen. Waldhild saß still am Fuße einer alten Buche, eine große, ruhige Eule auf ihrer Schulter. Sie sprach leise, sanfte Worte, ihre Stimme so tief und erdig wie der Wald selbst. Momente später trat ein scheues Reh aus dem Waldrand hervor, äugte kurz zu ihr auf und knabberte dann ungestört an den Blättern in ihrer Nähe. Ein tiefes Gefühl der Ruhe und Verbundenheit mit der Natur durchströmte Hans, ein unwillkürlicher Wunsch, innezuhalten und die Stille des Waldes zu genießen, seine Sorgen für einen kurzen Moment zu vergessen. Die Steine um Waldhild herum schienen die Stille der Wildnis zu verstärken, als wären sie selbst Teil der tiefen, unberührten Natur.

Hans, der unwissentlich an diesem verborgenen Ort vorbeikam, nahm diese flüchtigen Eindrücke nicht bewusst als Zeichen magischer Einflüsse wahr. Doch die subtilen Energien und die verborgenen Handlungen der Hexen webten sich unmerklich in seine Wahrnehmung ein und würden ihren Einfluss zu gegebener Zeit entfalten, wie unsichtbare Fäden, die ihn tiefer in das Netz dieser magischen Welt zogen. Er spürte nur ein leichtes Unwohlsein, ein Gefühl, als wäre er in eine Decke aus verborgener Macht gehüllt, die sich langsam um ihn legte. Die Steinhäute, die ihn umgaben, schienen diese Präsenz aufzusaugen und wieder abzugeben, als wären sie die Membran zwischen den Welten.

© 26.05.2025 Gerd Groß 

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