Mehr als Gold - Die Reise zu inneren Wahrheit
Kapitel 2
Der beschwerliche Weg und ein Flüstern im Wind
Der Wind trug das Rauschen des Gertelbachs und das leise Raunen alter Bäume durch den Wald, eine Melodie, die Hans seit seiner Kindheit kannte. Doch heute mischte sich in das vertraute Lied eine ungewohnte Note, ein unheimliches Flüstern, das nicht vom Wind allein zu stammen schien. Es sprach von verborgenen Schätzen, ja, aber auch von rätselhaften Prüfungen, die am Ende eines steinigen Pfades auf ihn warteten – Prüfungen, die ihn nicht nur den Wert des Goldes, sondern den wahren Wert des Lebens lehren sollten.
Sein Blick streifte die bescheidenen Güter auf seinem Karren: robuste Äxte, schwere Hämmer, scharfe Sensen und kunstvoll verzierte Beschläge. Werkzeuge, die er auf dem Markt in Gernsbach verkaufen wollte, um das Dach über dem Kopf seiner Familie zu retten. Die letzten kargen Ernten und die steigenden Abgaben hatten ein tiefes Loch in ihre Kasse gerissen. Er spürte das nagende Gefühl der Verantwortung, das wie ein schwerer Stein auf seiner Brust lag. Der Gedanke an seine Frau Grete und die Kinder, die zu Hause warteten, gab ihm die Kraft für diesen beschwerlichen Weg.
Der Pfad, den Hans und sein Karren nahmen, war kein sanfter Waldweg, sondern ein gnadenlos steiniger, steiler Steig, der alte Postweg, auch Briefträgerweg genannt, der sich durch das schroffe, stark zerklüftete Tal der Gertelbach schlängelte. Riesige, graue Felsen, überzogen mit dicken, feuchten Moosteppichen, flankierten den Weg wie stumme, lauernde Wächter.
Während der Karren holpernd über die Steine rumpelte, entspann sich zwischen Hans und Willi, seinem treuen Pferd, ein stummer Dialog, eine endlose Unterhaltung aus Anstrengung und stiller Kameradschaft. Willis gelegentliches Schnauben schien zu klagen, wenn der Weg besonders steil wurde, woraufhin Hans mit einem festen Zug an den Zügeln und einem aufmunternden "Komm schon, alter Freund, das schaffen wir!" antwortete. Manchmal schien Willi aber auch vor Übermut zu wiehern, wenn sie ein besonders kniffliges Stück Weg gemeinsam überwunden hatten, und Hans musste schmunzeln über die scheinbar menschlichen Launen seines treuen Gefährten. Es war ein ständiges Wechselspiel aus geteilter Mühe, kleinen Freuden und dem unerschütterlichen Band, das sie verband.
Der Wald um sie herum atmete mit unzähligen Geräuschen: das Knistern trockener Äste unter Willis Hufen, und das tiefe, unbestimmte Murmeln, das aus dem Inneren des Waldes drang. Doch heute schien es, als ob die Bäume selbst atmeten, ein Geräusch, das tiefer war als jeder Wind, ein Pulsieren, das Hans in den Knochen spürte. Waren es die Bäume, die ihre rätselhaften Botschaften flüsterten? Oder nur das Raunen des Windes in den uralten Wipfeln? Hans schüttelte unwillkürlich den Kopf. Er durfte sich nicht von seiner Fantasie ablenken lassen. Die Geschichten, die man sich über den Bühlertäler Wald erzählte – über die Hexen, die in versteckten Lichtungen hausten, und die Trolle, die in den dunklen Höhlen und Klüften der schroffen Felsen wohnten und deren grimmiges Wesen Angst und Schrecken verbreitete – waren lebendig genug, um seine Schritte zu beschleunigen.
Als die ersten Schatten länger wurden und die Luft spürbar abkühlte, erreichte Hans eine kleine, ebene Stelle am Rande des Weges. Er hielt an, um Willi eine kurze Verschnaufpause zu gönnen. Die Ruhe im Wald, abgelöst vom Raunen des Windes in den Ästen der Bäume, erzeugte eine unheimliche Stimmung in Hans. Er spürte, je tiefer sie in den Wald eindrangen, öffnete sich ein Reich, in dem die Gesetze der gewöhnlichen Welt dünner wurden und die Welt der Fabelwesen nicht nur begann, sondern bereits auf ihn wartete. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, doch die Notwendigkeit, das Geld für seine Familie zu verdienen, war stärker als jede Furcht.
© 26.05.2025 Gerd Groß