Mehr als Gold - Die Reise zu inneren Wahrheit 

Kapitel 1: 


Das Versprechen an den Winter

Hans war ein Mann der Murg, geformt von der Arbeit auf dem Hof und den rauen Wintern des Nordschwarzwaldes. Er war ursprünglich in Gernsbach im Murgtal geboren, doch nach einer großen Flutkatastrophe mit exorbitanter Zerstörungswut, die seine Heimat heimgesucht und tiefe Narben hinterlassen hatte, war er mit seiner Familie umgesiedelt. Nun kauerte sein bescheidener und doch geliebter Hof an einem sanften Hang unterhalb de Gertelbach Wasserfälle, umgeben von der dichten, dunklen Pracht des Bühlertäler Waldes, im Tal der Bühlot und des Gertelbachs, der Heimat seiner Frau Grete.

Die Herbsttage wurden kürzer, die Nächte frostiger, und der drohende Winter legte seinen eisigen Griff um das Land. Dieses Jahr jedoch lastete eine besonders schwere Sorge auf Hans' breiten Schultern. Die Erinnerung an die Flut und die Armut, die sie mit sich gebracht hatte, nagte stetig an ihm.

Die Ernte war mager ausgefallen, die Vorräte schwanden schneller als das Licht des Tages. Er sah die blasse Sorge in den Augen seiner Frau Grete, wenn sie die schmalen Mehlsäcke wog, und hörte das leise Knurren der Mägen seiner beiden Kinder, die noch zu jung waren, um die Schwere der kommenden Monate wirklich zu begreifen. Sein Sohn, der kleine Jakob, malte mit einem Holzscheit Bilder von einem dampfenden Essen in den staubigen Hof, und seine Tochter Leni, kaum älter, fragte immer wieder nach einer neuen Puppe, die Hans ihr seit Monaten versprach, aber nicht hatte kaufen können. Es war der Gedanke an ihre frierenden Hände und hungrigen Bäuche, der ihn nachts wachhielt. Das Dorf war arm, der Handel stockte, und die Aussicht auf einen weiteren Winter, der die Familie bis an den Rand der Verzweiflung bringen würde, war unerträglich. Er musste etwas tun.

So fasste Hans einen Entschluss, der ihm schwer im Magen lag. Er würde seine handwerklichen Fähigkeiten nutzen. Wochenlang hatte er in seiner kleinen Schmiede geschuftet, das Feuer geschürt, das Eisen geformt. Er hatte robuste Äxte geschmiedet, die kräftig genug waren, selbst die dicksten Stämme zu spalten, schwere Hämmer, die Felsen zertrümmern konnten, scharfe Sensen für die Felder und kunstvoll verzierte Beschläge für die Türen und Truhen der wohlhabenderen Bauern. All das, was der Wald und die Arbeit im Tal benötigten. Seine Hoffnung war, diese Werkzeuge in der Ferne zu verkaufen, wo die Not vielleicht nicht so groß war, vielleicht im Murgtal, genauer gesagt in Gernsbach, weit jenseits der vertrauten Pfade. Doch tief in seinem Herzen wusste er, dass dies nur ein Vorwand war. Der wahre Antrieb war die unstillbare Gier nach Reichtum, die ihn seit der Flut wie ein inneres Fieber befallen hatte, die Sehnsucht nach einer Wiedergutmachung, die er sich vom Gold der Berge erhoffte.

Er verstaute seine wertvolle Fracht sorgfältig auf einem alten, knorrigen Karren. Davor spannte er Willi, sein treues altes Schwarzwälder Kaltblut. Willi war mehr als nur ein Arbeitstier. Er war ein Teil der Familie, ein stummer Freund, der Hans seit Jahren begleitete und dessen warmes Schnauben oft Trost spendete. Die Kinder liebten es, Willi zu striegeln und ihm Äpfel zuzustecken. Hans tätschelte Willis Hals, als er die Zügel aufnahm. "Wir schaffen das, alter Freund", murmelte er, mehr zu sich selbst als zum Pferd.

Mit dem ersten Morgengrauen, noch bevor die Sonne die höchsten Baumwipfel des Waldes küssen konnte, verließ Hans den Hof. Ein letzter Blick zurück zeigte Grete, wie sie im Türrahmen stand, eine Hand schützend auf Lenis Kopf gelegt, ihr Blick voller Besorgnis, aber auch voller unausgesprochenem Vertrauen. Hans hob die Hand zum Gruß, ein stummes Versprechen, dass er mit dem Nötigsten zurückkehren würde.

Der Karren rumpelte über den holprigen Waldweg, dessen feuchte Erde unter dem morgendlichen Tau nachgab. Der Gertelbach plätscherte munter neben dem Pfad, sein Geräusch beruhigend und vertraut. Doch mit jedem Schritt, der ihn tiefer in den Wald führte, wich die Vertrautheit einer leisen, unbestimmten Ahnung. Der Wald um ihn herum schien sich zu verändern. Die Bäume wurden höher, dichter, und ihre Kronen verfingen sich in einem undurchdringlichen Geflecht, das nur spärlich Sonnenlicht auf den Waldboden ließ. Hans spürte, wie eine unheimliche Präsenz die Luft erfüllte. Er war auf dem Weg in eine Welt, die weit mehr Geheimnisse barg, als er sich je hätte vorstellen können. Und die Gier, die Hoffnung auf den großen Erlös, war der unsichtbare Motor, der ihn tiefer und tiefer in das Unbekannte trieb.

© 26.05.2025 Gerd Groß 

<<< I < 01 I 14 Kapitel > I >>>