Menschen


Ein Strom von Menschen zieht an meinem Ufer fort,
kaum gefasst, entschwindet jeder an einen anderen Ort.
Täglich spülen Wellen neue Wesen an mein Land,
doch ihre Reise währt nur einen Augenblick im Sand.

Wie Blätter im Herbstwind tanzen sie vorbei,
ein flücht'ger Wirbel, eh' sie wieder sind frei.
Die Zeit verrinnt, kein Anker hält den Augenblick,
und doch bleibt ihre Präsenz ein unvergesslich' Geschick.

So fragt mein Herz in dieser rastlosen Bewegung schwer,
ob in ihrem Weiterziehen ein Echo meiner Seele wär?
Ob sie die kurze Wärme unserer Nähe spürten,
und ob vielleicht Erinnerung ihre Schritte führten?


© Gerd Groß 12.12.2000


Dieses Gedicht von Schriftsteller Gerd Groß aus dem Jahr 2000 malt ein melancholisches und zugleich tiefgründiges Bild vom Fluss des Lebens und der Flüchtigkeit der Begegnungen. Lassen Sie uns versuchen, es zu interpretieren und zu bewerten:

Interpretation:

  • Das Ufer als Metapher: Das "Ufer", an dem der Sprecher steht (oder das er selbst ist), symbolisiert einen Ort der Beobachtung, möglicherweise einen Lebensabschnitt, eine bestimmte Perspektive oder sogar das Bewusstsein selbst. Es ist ein Punkt, an dem die Strömungen des Lebens vorüberziehen.

  • Der Strom der Menschen: Der "Strom von Menschen" steht für die unaufhörliche Bewegung des Lebens, die ständigen Veränderungen und die Vielzahl der Individuen, die unseren Weg kreuzen. Die Formulierung "kaum gefasst, entschwindet jeder an einen anderen Ort" betont die Kurzlebigkeit dieser Begegnungen und die Unmöglichkeit, sie festzuhalten.

  • Die Wellen und die neuen Wesen: Die "Wellen" könnten für die wiederkehrenden Zyklen des Lebens oder für neue Erfahrungen und Einflüsse stehen, die ständig an unser "Land" gespült werden. Die "neuen Wesen" sind die Menschen, die in unser Leben treten. Ihre kurze "Reise im Sand" unterstreicht erneut die Vergänglichkeit ihrer Anwesenheit in unserem direkten Erleben.

  • Der Tanz der Blätter: Der Vergleich mit "Blättern im Herbstwind" ist ein klassisches Bild für die Vergänglichkeit und die Unkontrollierbarkeit des Lebens. Die Menschen werden als leicht und ungebunden beschrieben, getrieben von äußeren Kräften ("ein flücht'ger Wirbel").

  • Die verrinnende Zeit: Die Zeile "Die Zeit verrinnt, kein Anker hält den Augenblick" fasst die zentrale Thematik der Vergänglichkeit zusammen. Der Augenblick ist flüchtig und lässt sich nicht festhalten.

  • Die unvergessliche Präsenz: Paradoxerweise hinterlässt diese flüchtige Bewegung dennoch eine "unvergesslich' Geschick". Dies deutet darauf hin, dass auch kurze Begegnungen Spuren in uns hinterlassen, uns prägen und in unserer Erinnerung fortleben.

  • Die Fragen des Herzens: Die abschließenden Fragen des "Herzens" des lyrischen Ichs sind der Kern der emotionalen Tiefe des Gedichts. Die Sehnsucht nach einem "Echo der Seele" in den vorüberziehenden Menschen drückt das Bedürfnis nach Verbindung und Resonanz aus. Die Fragen, ob die "kurze Wärme unserer Nähe" gespürt wurde und ob "Erinnerung ihre Schritte führten", zeugen von der Hoffnung auf eine tiefere Bedeutung der Begegnungen, die über die reine Flüchtigkeit hinausgeht. Es ist eine Reflexion über den Einfluss, den wir aufeinander haben, auch wenn er nur kurz währt.

Bewertung:

Das Gedicht ist eine gelungene und berührende Reflexion über die Natur der menschlichen Begegnung und die Vergänglichkeit des Lebens.

  • Starke Metaphorik: Die durchgängige Verwendung von Naturmetaphern (Ufer, Strom, Wellen, Sand, Blätter, Wind) ist sehr wirkungsvoll und erzeugt eine anschauliche und emotionale Tiefe.

  • Melancholische Grundstimmung: Die melancholische Grundstimmung ist spürbar, ohne ins rein Negative abzudriften. Es schwingt eine Akzeptanz der Vergänglichkeit mit, verbunden mit der leisen Hoffnung auf bleibende Verbindungen.

  • Einfache und klare Sprache: Die Sprache ist klar und zugänglich, was die emotionale Wirkung des Gedichts verstärkt. Es werden keine unnötig komplizierten Formulierungen verwendet.

  • Universelle Thematik: Die Themen von Vergänglichkeit, Begegnung und der Suche nach Bedeutung in flüchtigen Momenten sind universell und berühren den Leser auf einer tiefen Ebene.

  • Offenes Ende: Die offenen Fragen am Schluss laden den Leser zur eigenen Reflexion ein und lassen Raum fürInterpretationen.

Insgesamt ist "Ein Strom von Menschen zieht an meinem Ufer fort" ein nachdenkliches und poetisches Stück, das auf eindringliche Weise die Flüchtigkeit des Lebens und die Bedeutung der zwischenmenschlichen Begegnungen thematisiert. Es regt dazu an, über die Spuren nachzudenken, die wir in anderen hinterlassen und die andere in uns hinterlassen, auch wenn diese Spuren manchmal nur wie ein Augenblick im Sand erscheinen mögen. Die Datierung von 2000 gibt dem Gedicht zudem eine persönliche Note des Autors zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Lebensbetrachtung.

© Gemini KI