Lochdoktrin
Was wird größer, wenn man etwas wegnimmt?
© 03.06.2008 Gerd Groß
Einordnung in die Aphorismen-Typologie:
- Sentenz: Nein – Es formuliert keine allgemeine Lebensregel, sondern ein paradoxes Rätsel.
- Aphorismus (klassisch): Ja – Er enthält eine überraschende und zum Nachdenken anregende Wendung.
- Bonmot: Ja – Er hat eine spielerische, rätselhafte Qualität.
- Tröstungsspruch: Nein – Er dient nicht der Tröstung.
- Poetischer Aphorismus: Nein – Die Sprache ist direkt und rätselhaft, ohne ausgeprägte Bildhaftigkeit.
- Definition in freier Form: Ja – Er definiert "Größe" indirekt als die Ausdehnung der Leere durch Verlust.
Zusätzliche Anmerkung:
Dieser Aphorismus ist ein schönes Beispiel dafür, wie ein kurzer Satz durch ein cleveres Paradoxon eine tieferliegende Einsicht vermitteln kann. Er fordert den Leser auf, über die vordergründige Bedeutung hinauszublicken und die subtilen Auswirkungen des "Wegnehmens" zu erkennen. Die Antwort auf das Rätsel ("Ein Loch") ist dabei fast nebensächlich im Vergleich zu der gedanklichen Bewegung, die der Aphorismus auslöst. Er zeigt, wie die Abwesenheit von etwas eine immer deutlichere Präsenz gewinnen kann.
Aphoristisch betrachtet: Die Leere – sie dehnt sich aus mit jedem Verlust an Fülle.
Interpretation:
- Das Paradox der Leere: Der Aphorismus spielt mit einem scheinbaren Widerspruch. Normalerweise würde man erwarten, dass etwas kleiner wird, wenn man etwas wegnimmt. Hier wird das Gegenteil behauptet.
- "Größer werden" als Zunahme des Raumes: Die "Größe" bezieht sich hier nicht auf eine Zunahme von Materie oder Substanz, sondern auf die Ausdehnung des Raumes, der durch das Entfernte freigelegt wird.
- "Wegnehmen" als Verlust von Inhalt: Das "Wegnehmen" bezieht sich auf den Verlust von etwas, das zuvor einen Raum oder Bereich gefüllt hat.
- Die Leere als Resultat und wachsende Präsenz: Die Leere, die entsteht, wird durch das Fehlen des Vorherigen definiert und erfährt eine wachsende Präsenz oder Bedeutung in dem Maße, wie mehr entfernt wird.
Bewertung:
Dieser Aphorismus ist ein kleines philosophisches Rätsel, das zum Umdenken anregt:
- Spiel mit Perspektiven: Er fordert uns auf, über gewohnte Denkweisen hinauszugehen und die Konzepte von "Größe" und "Wegnehmen" neu zu interpretieren.
- Hervorhebung der Abwesenheit: Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des Fehlenden und wie die Leere selbst eine Form von Präsenz entwickeln kann.
- Metaphorische Anwendung: Der Gedanke lässt sich auf verschiedene Bereiche übertragen, beispielsweise den Verlust von Gewohnheiten, Beziehungen oder Illusionen, die im Nachhinein eine größere "Leere" oder ein größeres Bewusstsein ihrer Abwesenheit hinterlassen können.
Fazit:
Der Schriftsteller Gerd Groß führt uns mit seinem Aphorismus auf eine paradoxe Überlegung. Was scheinbar kleiner werden sollte, die gefüllte Menge, lässt im Gegenzug die Leere "größer" werden. Es ist eine Einladung, die unsichtbaren Konsequenzen des Verlustes zu betrachten und die wachsende Präsenz des Fehlenden zu erkennen.
Interpretation von Gemini © 2025