Der Junge von Nebenan

Kapitel 36: Verantwortung


Das Büro war klein, nicht viel mehr als ein Tisch, zwei Stühle und eine weiße Wand mit einem Kalender, der still ein vergangenes Jahr festhielt. Doch das Gespräch, das hier stattfand, hatte Gewicht.

Herr Klement lehnte sich zurück, die Hände gefaltet. Er hörte zu – wirklich zu – während Leo sprach. Nicht wie jemand, der einen Bewerber abklopfte, sondern wie jemand, der prüfen wollte, ob die Worte aus der Tiefe kamen oder nur Oberfläche waren.

"Ich hab's verstanden", sagte Leo. "Die Ausbildung. Die Chance. Das alles. Ich will das machen. Aber ich will auch zurück. Nicht nur als Besucher. Sondern mit einem Ziel."

Herr Klement schwieg kurz, dann hob er eine Braue. "Zurück… wohin genau?"

"In mein Viertel", antwortete Leo ohne Zögern. "Dahin, wo keiner Perspektiven verteilt. Wo man sich alles selber zusammensuchen muss – oder untergeht."

Klement nickte langsam. "Du willst also mehr als dich selbst trainieren."

Leo sah ihm in die Augen. "Ich bin da rausgekommen, weil jemand an mich geglaubt hat. David. Herr Weber. Wenn ich jetzt einfach gehe und nie zurückblicke, was war das dann wert? Ich will, dass aus dem, was ich bekommen habe, etwas entsteht. Etwas, das bleibt."

Klement lehnte sich nach vorn. "Das ist groß gedacht. Und gefährlich. Du weißt, worauf du dich einlässt?"

"Ich weiß es nicht ganz", sagte Leo leise. "Aber ich will's rausfinden. Und wenn ich jemanden wie Malik da rausholen kann – auch nur einen – dann war's richtig."

Am Abend stand Leo vor dem alten Gemeindezentrum. Es war halb verfallen, das Schild verwittert, die Fenster blind. Ein Ort, der vergessen worden war – wie die Menschen drum herum.

Aber Leo sah mehr. Er sah eine Halle, in der Kinder lernten, sich zu konzentrieren. Er sah Matten, nicht als Kampfplätze, sondern als Orte der Disziplin. Er sah Gesichter – skeptisch vielleicht – aber neugierig. Vielleicht, wenn man es richtig anging.

Er schickte eine Nachricht an David:

"Ich will was aufbauen. Hier. Kann ich auf dich zählen?"

Die Antwort kam schneller, als er gedacht hatte:

"Du weißt, wo du mich findest. Ich bin dabei."

In dieser Nacht schlief Leo schlecht. Nicht wegen Angst – sondern wegen Aufregung. Etwas war in Bewegung geraten. Und diesmal war er nicht mehr nur ein Teil davon.

Er war der, der anstieß.