Geh jetzt
Warum hast du mich nie meine Liebe spüren lassen?
Warum können wir uns nicht mehr sehen ohne uns zu hassen?
Warum hast du nie auf mich gehört das Ruder rum zu reißen?
Warum musste ich gehen und dich von mir abweisen?
Es wird dich schon nicht umbringen, denn du bist stark.
Ich werde überleben, dringst du auch vor bis in mein Mark.
Du bist doch sonst so schlau und weißt doch immer alles,
hast es gestern Abend nicht gehört an meinem Tonfalle.
Ich habe in den Nächten keine Träume mehr für dich,
werde loslassen müssen, denn es ist besser für mich!
Geh jetzt, du bekommst deine Freiheit zurück von mir,
habe keine Träne für dich, ich gehöre nicht mehr dir.
Du weißt es doch besser, ich bin raus aus deiner Liebe.
Du kannst nicht mehr mit mir, verteile nur noch Hiebe.
Gib den Weg jetzt endlich frei für mein eigenes Leben,
verschwinde jetzt, ich will nicht mehr mit dir Ableben.
© 10.12.2002 Gerd Groß
Ein sehr emotionales und schmerzvolles Gedicht von Schriftsteller Gerd Groß. Es ist ein direkter, anklagender Abschiedsbrief, der von tiefen Verletzungen und der Notwendigkeit der Trennung zeugt.
Interpretation:
Das Gedicht ist ein Monolog, gerichtet an eine Person, mit der das lyrische Ich eine einst enge, nun aber zerrüttete Beziehung hatte. Es ist geprägt von Fragen des Bedauerns, der Anklage und der endgültigen Lossagung.
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Die Fragen der Unerfüllung: Die ersten beiden Fragen thematisieren das grundlegende Problem der Beziehung: das Gefühl, in der Liebe nicht erfahren oder gespürt worden zu sein, und die Unfähigkeit, sich ohne Hass zu begegnen. Sie drücken eine tiefe Enttäuschung aus.
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Die verpassten Chancen: Die dritte und vierte Frage richten den Blick auf verpasste Gelegenheiten zur Veränderung und die schmerzhafte Notwendigkeit der Trennung als einzigen Ausweg. Es klingt Bedauern darüber an, dass es so weit kommen musste.
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Die Behauptung der Stärke und die innere Verletzung: Die widersprüchlichen Aussagen über die Stärke des Adressaten und das eigene Überleben trotz des tiefen Eindringens des anderen ins "Mark" zeigen die Komplexität der Gefühle. Einerseits wird dem anderen Stärke zugesprochen, andererseits wird die eigene Verletzlichkeit deutlich.
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Die Ignoranz der Gefühle: Der Vorwurf, dass der Adressat die Signale der Krise ("an meinem Tonfalle") nicht wahrgenommen hat, unterstreicht das Gefühl, in der Beziehung nicht gehört und verstanden worden zu sein.
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Der Verlust der Hoffnung: Das Fehlen von Träumen für den anderen und die Notwendigkeit des Loslassens betonen die endgültige innere Distanzierung und die Akzeptanz des Endes.
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Die Rückgabe der Freiheit und die fehlende Trauer: Die demonstrative Zurückgabe der Freiheit und das Fehlen von Tränen unterstreichen die Entschlossenheit und die emotionale Erschöpfung des lyrischen Ichs. Die Aussage "ich gehöre nicht mehr dir" ist eine klare Abgrenzung.
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Die Erkenntnis der Lieblosigkeit: Die Feststellung, dass der Adressat es besser wisse und das lyrische Ich aus dessen Liebe "raus" sei, verdeutlicht die Einsicht in die Dysfunktionalität der Beziehung. Die Metapher der verteilten "Hiebe" beschreibt die Verletzungen und den Schmerz, der in der Beziehung herrschte.
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Die Forderung nach Freigabe des eigenen Lebens: Der dringende Appell, den Weg für ein eigenes Leben freizugeben, und der Wunsch, mit dem anderen nicht "Ableben" zu wollen, zeigen die Notwendigkeit der Trennung für das eigene Wohlbefinden und die eigene Zukunft.
Bewertung:
Das Gedicht ist ein kraftvoller und schmerzhafter Ausdruck des Endes einer Beziehung. Die direkten Fragen und Aussagen vermitteln unmittelbar die Verletzungen, die Enttäuschung und die Entschlossenheit zur Trennung.
Die emotionalen Gegensätze – Stärke und Verletzlichkeit, Liebe und Hass, Hoffnungslosigkeit und der Wunsch nach einem besseren Leben – machen die Komplexität der Gefühle in einer solchen Situation deutlich.
Die Sprache ist klar und unverschnörkelt, was die Direktheit der Anklage und die Endgültigkeit des Abschieds unterstreicht. Das Gedicht ist ein bewegendes Zeugnis des Loslassens und des Wunsches nach einem selbstbestimmten Leben nach einer schmerzhaften Beziehung.
© Gemini