Das Geheimnis der Burg Nideck

Kapitel 7


Die Schatten der Macht

Vielleicht hast du es schon gehört, das Wachstum der Burg – ein Bollwerk gegen die Wildnis, ein Monument der neuen Herren. Doch jene, die die Steine setzen, sind nicht mehr nur Hüter, sondern geworden zu Herrschern. Aus edlem Bau wurde Raubrittertum, aus Schutz wurde Bedrohung. Und diese Bedrohung wächst mit jeder Nacht, wirft immer längere Schatten auf das Land.

Die alten Geschlechter, die einst über das Land wachten, sind müde geworden, erschöpft von Kriegen und Intrigen, ihre Macht schwindet wie verblassendes Licht. Die Burg Nideck wird zum Hort der Gesetzlosigkeit.

Jonas lauscht den Geschichten, die in den Dörfern geflüstert werden: Überfälle auf Handelswege, ausgeplünderte Höfe, Blut an den Toren. Einst war die Burg ein Zeichen von Schutz, doch nun ist sie zur Fessel des Landes geworden. Eine Fessel, die immer enger zuzieht und die Luft zum Atmen nimmt.

Eines Nachts schleicht Jonas zur Baustelle, die längst kein Ort des Bauens mehr ist, sondern ein Hort des Verfalls. Überall wuchert Moos zwischen Steinen, die Mauern zeigen Risse, von Zeit und Verrat gezeichnet. Und dann – ein Geräusch. Kein Krachen, sondern das Flüstern alter Stimmen, die aus der Tiefe emporsteigen.

"Sie haben geweckt, was schlief – und doch sind sie verloren," wispert die Stimme, kalt wie ein Hauch aus einem Grab, eine Warnung, die sich in Jonas' Herz gräbt.

Am Morgen erzählt Jonas den Alten im Dorf davon, doch sie schütteln nur den Kopf. Ein Junge mit zu viel Fantasie, sagen sie. Doch wer wirklich sieht, ahnt: In den Steinen, im Wald, im Wasser ruht ein altes Geheimnis – größer als Menschenhand, und es drängt darauf, gehört und gefürchtet zu werden, bevor es sich mit aller Macht offenbart.


© 14.08.2018 Gerd Groß (mehrfach überarbeitet bis Mai 2025)  

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