Das Geheimnis der Burg Nideck

Kapitel 6


Das Echo der Steine

Höre das Pochen im Fels – es endet nicht. Tag für Tag dringen neue Klänge in den Wald: das Schlagen von Hämmern, das Krachen fallender Bäume, das Klirren von Metall auf Stein. Die Menschen nennen es Fortschritt, nennen es Schutz – doch der Wald nennt es Wunde. Eine Wunde, die nicht verheilt, sondern sich immer tiefer in sein Herz frisst.

Jonas wandert auf den alten Pfaden, sucht Halt im Vertrauten. Doch viele Orte sind aufgerissen, Moose zertrampelt, und aus der Tiefe steigt der Geruch von Staub und Eisen empor. Der Bach, einst kristallklar, fließt nun in milchigem Grau – als könnte die Erde ihre Tränen des Zorns nicht mehr zurückhalten.

Eines Abends, während der Himmel in schweren Farben brennt, kehrt Jonas zu einer alten Lichtung zurück, wo einst die Kinder des Dorfes spielten. Dort findet er ein einzelnes, zerbrochenes Rad – ein Holzspielzeug, halb im Moos vergraben. Er hebt es auf, betrachtet es still.

Plötzlich bewegt sich etwas im Nebel. Eine Gestalt steht am Rand der Lichtung. Riesengroß, doch schattenhaft, schimmert sie silbern im Dämmerlicht. Ihre Augen blicken nicht auf Jonas, sondern darüber hinweg, als suche sie etwas fern. Etwas, das in Gefahr ist.

"Wenn sie vergessen, dass alles Spiel ein Ernst ist – erwachen wir wieder," raunt es, eine Stimme, die durch Mark und Bein geht und eine unheilvolle Verheißung birgt.

Dann ist sie verschwunden.

Jonas hält das zerbrochene Rad fest in der Hand. Es ist kein Spielzeug mehr. Es ist ein Schlüssel. Ein Schlüssel zu einem Rätsel, dessen Lösung über das Schicksal des Waldes entscheiden könnte.


© 14.08.2018 Gerd Groß (mehrfach überarbeitet bis Mai 2025)  

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