Das Geheimnis der Burg Nideck

Kapitel 26


Der Schwur der Elemente

Die Sonne stand tief am Himmel, als Jonas und Leana den heiligen Hain der Naturhüter hinter sich ließen. Ihre Schritte führten sie über einen schmalen Pfad, der sich wie ein silbernes Band durch moosbedecktes Gestein wand. Die Luft wurde kühler, der Boden weicher, bis sie schließlich an den Rand eines alten Talkessels traten. Ein eisiger Windzug, der nichts mit dem Wetter zu tun hatte, ließ sie frösteln. Irgendetwas lauerte in den Tiefen dieses Ortes.

Dort erhoben sich vor ihnen vier Obelisken, jeder aus einem anders schimmernden Stein: ein rauer Granitpfeiler, ein glühender Basalt, ein Kristall aus reinem Eis und ein knorriges Holz, durchzogen von feinen Adern aus lebendigem Licht.

"Hier ruhen die vier Elemente," flüsterte Leana ehrfürchtig. "Erde, Feuer, Wasser und Luft." Ihr Amulett an ihrer Brust pulsierte leise, als würde es auf die geballte Energie der Obelisken reagieren.

Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, entflammte der Basalt zu einem lodernden Feuerschweif. Der Granit begann geheimnisvoll zu schimmern, der Eiskristall erhob einen sanften Gesang, und aus dem Holzobelisken wirbelte ein zarter Lichtstrom empor. Die Elemente erwachten zum Leben. Ihre Präsenz war eine Herausforderung, die jede Faser ihres Seins auf die Probe stellte.

Eine Stimme erklang, so alt wie die Berge und so zart wie der Morgentau: "Fremde des Waldes, ihr tragt das Zeichen der Hüter. Doch kein Bund gilt, ohne den Schwur der Elemente." Ihre Worte waren wie scharfe Kiesel, die an ihrem Entschluss kratzten.

Aus den Obelisken traten die vier Kräfte hervor – als lebendige Wesen: eine Frau mit glühender Haut, ein bärtiger Mann aus Stein, ein junges Wesen aus tanzendem Wasser und ein Kind, dessen Haare wie Nebel in der Luft wallten. Jede Gestalt prüfte die beiden mutigen Naturhüter.

Zuerst trat das Feuer: "Wenn du den Zorn der Flammen bändigst, ohne selbst zu brennen, darfst du mein Licht tragen." Jonas trat vor, mutig und unerschrocken. Um ihn loderten Flammen, die seine Ängste wie trockenes Laub verzehrten. Er spürte die Hitze auf seiner Haut, wie eine brennende Frage: Bist du bereit, alles zu verlieren, um alles zu retten? Tief atmete er ein, erinnerte sich an die Wärme seiner Mutter, an das strahlende Lachen in Leanas Augen. Die Flammen zogen sich zurück – nicht aus Furcht, sondern aus Respekt.

Dann trat das Wasser hervor: "Wenn du loslässt, was du liebst, und dennoch stark bleibst, darfst du meinen Fluss durchqueren." Leana schritt an den Wassergeist heran. Plötzlich sah sie eine Vision: Wie sie Jonas verlor, allein durch dunkle Wälder irrte, gejagt von Gestalten, deren Gesichter von Gier und Angst verzerrt waren. Tränen standen in ihren Augen, doch ihr Kopf war erhoben. Sie schloss die Augen und dachte an das Band, das sie mit Jonas verband, stärker als jeder Verlust. Der Wassergeist lächelte sanft und verschwand in einem Schleier aus Nebel.

Nun trat die Erde hervor: "Wenn du standhältst, auch wenn alles über dir zusammenbricht, darfst du auf mir bauen." Jonas kniete nieder und legte seine Hand auf den weichen Boden. Ein leises Beben erfüllte die Luft. Der Granitobelisk zerbrach, stürzte scheinbar herab – doch blieb er in der Luft schweben, getragen von einer mächtigen Wurzel, die aus dem Mut in Jonas erwachsen war. Ein dumpfes, grollendes Geräusch erklang aus der Tiefe, als würde der Berg selbst vor Schmerz ächzen.

Zuletzt erschien die Luft: "Wenn du zuhörst, ohne zu urteilen, darfst du meine Wege kennen." Leana schloss die Augen und lauschte dem Wind, der uralte Geschichten flüsterte: von schlafenden Riesen und vergessenen Menschen. Sie hörte aber auch das zischende Flüstern derjenigen, die versuchten, die Riesen für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen, ein böses, hohles Lachen, das ihr Schauder über den Rücken jagte. Kein Urteil lag in ihren Gedanken – nur Staunen und Ehrfurcht. Sanft legte sich der Wind wie ein Schleier in ihr Haar.

Dann vereinten sich die vier Gestalten zu einem einzigen strahlenden Lichtstrahl, der sich in das Amulett bohrte, das ihnen der Waldgeist gegeben hatte. Es leuchtete heller als je zuvor – die Elemente hatten ihren Schwur angenommen.

"Nun seid ihr wahrhaft gebunden an das Herz der Welt," sprach die vereinte Stimme. "Doch bedenkt: Das Gleichgewicht ist ein Tanz – und jeder Schritt fordert seinen Preis. Manche Schritte sind schmerzhaft, manche fordern mehr, als ihr geben wollt."

Mit neuem Mut und uralter Kraft durchströmten Jonas und Leana den Talkessel, während ein Regenbogen aus Licht über den vier Obelisken langsam verblasste.


© 14.08.2018 Gerd Groß (mehrfach überarbeitet bis Mai 2025)  

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