Das Geheimnis der Burg Nideck
Kapitel 21
Die Quelle des Windes
Der Weg führte Jonas und Leana nun hinauf auf einen kahlen Bergkamm, wo der Himmel weit und endlos schien. Der Wind wehte kalt und klar, er trug Stimmen und Lieder mit sich, als wären sie flüsternde Botschaften aus einer anderen Welt. Doch diese Botschaften waren nicht nur poetisch; sie waren auch eindringliche Warnungen.
Oben angekommen, fanden sie eine uralte Quelle, deren Wasser kristallklar aus einem moosbedeckten Stein quoll. Das Wasser schimmerte im Licht wie flüssiges Silber und sang ein leises Lied, das sich mit dem Wind vereinte.
Aus dem Nebel der Quelle trat eine schlanke Gestalt hervor, leicht wie eine Feder und doch voller Kraft – der Windgeist, Hüter der Lüfte und der Freiheit. Seine Augen waren hellblau, wie der unendliche Himmel selbst, und sein Atem klang wie das Säuseln der Blätter. Doch in seinen Augen lag eine unbestimmte Melancholie, als sähe er eine kommende Tragödie.
"Wer die Elemente zu vereinen sucht," sprach der Windgeist mit einer Stimme, die mal sanft wie ein Lied, mal stürmisch wie ein Orkan war, "muss die Quelle des Windes berühren. Was kann man fangen und doch niemals halten? Was trägt dich fort, doch bleibt stets zurück?" Die Leichtigkeit der Frage täuschte über ihre tiefe Bedeutung hinweg.
Jonas und Leana schauten sich an, spürten die Rätsel in ihrem Herzen tanzen.
Leana flüsterte: "Es ist der Wind. Unsichtbar, frei, doch immer da – mal sanft, mal wild."
Der Windgeist nickte, sein Haar wirbelte empor wie ein Sturm. "Ihr habt erkannt, dass Freiheit und Bindung eins sind – wie der Wind, der fliegt, doch von der Erde gerufen wird. Doch die wahre Prüfung liegt darin, dieses Wissen zu leben, nicht nur zu verstehen." Und er fügte hinzu, seine Stimme sank zu einem kaum hörbaren Flüstern: "Das größte Opfer ist oft das, was man am liebsten festhält."
Mit einem letzten Aufbrausen verschwand der Windgeist in der Luft, und die Quelle versank wieder im sanften Nebel. Jonas und Leana spürten, wie die Kraft des Windes in ihnen erwachte, bereit, sie weiter auf ihrem Weg zu führen. Doch sie wussten, dass der Weg nun nicht nur ihre Stärke, sondern auch ihren Willen bis aufs Äußerste prüfen würde.
© 14.08.2018 Gerd Groß (mehrfach überarbeitet bis Mai 2025)