Der letzte Befehl - Die Stille ist kein Schweigen
Buch 1
DIE ANKUNFT
Kapitel 8: Leere Linien
Örtlichkeit: München – Anna in einer Welt, die plötzlich nicht mehr antwortet
Leitmotiv: Wenn die Systeme schweigen, beginnt das Hören.
Zuerst dachte sie, es sei ein Fehler im Spiel.
Ein Glitch. Ein Serverproblem. Ein Patch, der noch nicht vollständig durchgelaufen war. So etwas kam vor.
Die Welt, die Anna betrat, war wie immer: schwebende Inseln, violette Bäume, Wasser, das in den Himmel floss. Nur eines fehlte: die anderen.
Keine Avatare. Kein Sound. Kein Interface.
Sie blinzelte – und stand plötzlich allein in einem Paradies.
Kein Spieler, kein Hinweis, keine Nachricht vom System. Nur das Licht, das sich seltsam schwer auf ihrer Haut anfühlte.
"Hallo?" Ihre Stimme hallte.
Keine Antwort.
Dann: Verbindung zum Satellitencluster unterbrochen. Versuchen Sie es später erneut.
Weiße Schrift auf grauem Hintergrund.
Keine Optionen. Kein Neustart.
Sie nahm das Headset ab. Der reale Raum war nicht freundlicher.
Ihr Zimmer: kalt, aufgeräumt, steril. Die Pflanzen in den Regalen waren aus Kunststoff. Ihr Fenster zeigte den Hof, wo immer noch das kaputte Fahrrad lag, das sie seit Wochen ignorierte.
Sie spürte, dass etwas anders war.
Nicht sichtbar. Nicht laut.
Aber da.
Der Bildschirm des Pads zeigte nur einen flackernden Cursor. Keine Netzverbindung. Kein Update.
Sie schaltete auf manuelle Eingabe um – ein veraltetes Protokoll, das ihr Vater ihr einmal gezeigt hatte, nur zur Sicherheit.
Nichts. Nicht einmal ein Ping. Nur Leere.
Draußen war es stiller als sonst.
Keine Busgeräusche, keine Drohnenwerbung, keine Schulnachricht über das Fensterpanel. Selbst die Nachbarin mit dem bellenden Hund war verschwunden.
Anna stand am Fenster, sah hinaus.
Ein Mann fuhr mit dem Fahrrad, langsam, ohne Ziel. Ein Kind spielte mit Kreide. Zwei Männer unterhielten sich laut – ohne Mobilgeräte, ohne Ablenkung.
Die Stadt war nicht tot. Aber sie war entkoppelt.
Losgelöst.
Sie ging ins Arbeitszimmer ihres Vaters.
Normalerweise war es verschlossen, aber heute nicht.
Drinnen standen seine Terminals offen. Datenflüsse, Simulationsmodelle, Schaltpläne.
Sie verstand wenig – aber genug, um zu erkennen: Auch hier war alles eingefroren.
Dann sah sie den Ausdruck auf dem Tisch.
Ein Bild:
Ein Symbol. Ein Kreis, durchzogen von Linien.
Wie ein Auge. Oder ein Kompass. Oder ein Riss.
Darunter, mit Stift geschrieben:
"Signal nicht irdisch. Frequenz jenseits der bekannten Skalen. Wiederkehrend. Strukturiert."
Anna fröstelte. Nicht vor Angst – sondern weil sie spürte, dass dies keine Phase war. Kein Glitch. Kein Stromausfall.
Etwas war anders.
Und es betraf alle.
Letzter Satz:
Die Welt war nicht offline.
Sie war still geworden.
Und Anna wusste nicht, ob sie das je wieder rückgängig machen konnte.